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Archiv-Artikel

der rechte rand Der Ausstieg aus der Szene

Wegschauen geht nicht: 25 Prozent mehr Neonazis haben die Verfassungsschützer im vergangenen Jahr gezählt. Für die taz nord beobachtet Andreas Speit den rechten Rand. Kontinuierlich.

Sie wird gesucht. Seit dem Ausstieg aus der Neonaziszene muss sich Tanja Privenau verstecken. Die Mittdreißigerin wird von ihren ehemaligen Kameraden um Noch-Ehemann Markus Privenau verfolgt. „Auch Morddrohungen habe ich erhalten“, sagte sie der Presse.

Nach 20 Jahren verließ die Mutter von fünf Kindern im Januar dieses Jahres die Szene. Als Jugendliche hatte sie sich erst der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ angeschlossen, leitete später „Freie Kameradschaften“ und wirkte zuletzt in der „Artgemeinschaft“ mit. „Die Phase des Ausstiegs ist sehr lang“, sagt sie. Nicht nur weil ihr Mann, der sie schlug, ein führender Neonazi im Bremer Raum ist. Die Verstrickung geht tiefer: „Die Gesinnung legt man nicht von einem Tag auf den andern ab.“ Wie eng die Heilpraktikerin noch dem völkischen Denken verhaftet ist, klingt durch, wenn sie stolz berichtet, dass ihre Kinder keine Pullis mit amerikanischem Aufdruck und selten Jeans tragen.

„Ein Ausstieg bedeutet immer einen Umstieg“, hebt Andrea Müller hervor. Der pädagogische Leiter des Lidice Hauses weiß, wie tief greifend die Trennung von der Neonaziszene ist. „Es ist ein langwieriger Prozess“, betonte er. Das Lidice Haus in Bremen setzt sich ebenso wie die „Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt“ aus Braunschweig und die „Aussteigerhilfe Rechts“ in Hannover mit Aussteigern auseinander.

Vor zwei Jahren verließ der Lübecker Neonazikader Jürgen Gerg die Szene. Doch ob der frühere NPD-Landesvorsitzende und Chef des „Bündnisses nationaler Sozialisten für Lübeck“ sein politisches Denken ganz verändert hat, bleibt fraglich. Denn damals setzte er sich für eine Zusammenarbeit von Rechts und Links gegen „das System“ ein, und heute beteiligt er sich am „antiimperialistischen Kampf“ gegen „Amerika“.

Im Gegensatz zu Tanja Privenau kennt Jürgen Gerg Bedrohung kaum. „Nicht alle Aussteiger werden bedroht“, sagt Lidice-Haus-Leiter Müller. Die Angst vor den „Kameraden“ aber lässt Ausstiegswillige zögern. Eine Trennung kommt meist nur, wenn in einer ambivalenten Lebenssituation private Verunsicherung und politische Zweifel zusammenfallen. Oft ist auch die Gründung einer Familie ein Trennungsgrund. Dem Ausstieg folgt dann eine veränderte Verhaltensweise, selten jedoch eine gewandelte Einstellung.

Bei einigen, die sich als Jugendliche der Szene anschlossen, beginne mit dem Älterwerden auch ein Nachdenken, sagt Müller „Die rechte Ideologie deckt sich für sie immer weniger mit der wirklichen Realität.“ Das bedeute aber nicht, dass sich das „Rechtssein“ einfach auswachse oder gar alle rechten Ressentiments verschwinden.

Manche Rechte geben sich auch „geläutert“, wenn eine Verurteilung droht, berichtet ein Mitarbeiter der „Aussteigerhilfe Rechts“. Das Projekt der niedersächsischen Justizbehörde betreut vor allem rechte Straftäter in der Haft oder auf Bewährung. „Nur wenn der Leidensdruck und der Wille zum Ausstieg groß ist, helfen wir“, erklärt der Mitarbeiter. Die Projektteilnahme führe daher auch nicht zu Straf- oder Hafterleichterungen.

Eine Abkehr ist meist mit einer Identitätskrise verbunden, das eigene Weltbild aber auch der alte Freundeskreis brechen weg. So versuchen alle Ausstiegshilfen, gemeinsam mit den Aussteigern neue Lebensperspektiven aufzubauen. Die Unterstützung kann von Einzel- und Familiengesprächen über Wohnungssuche und Schulhilfe bis hin zu Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche gehen.

Bei den Aussteigerhotlines melden sich die Rechten allerdings selten. Es sind die „betroffenen Eltern, die meistens anrufen“, sagt Müller. Die Elternberatung wurde deshalb weiter ausgebaut. Doch 2006 laufen für die freien Projekte die staatlichen Förderungen aus.