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der nachrufDer Journalist Kurt Nelhiebel war radikal unversöhnt

Vom Auschwitz-Prozess geprägt: Kurt Nelhiebel Foto: privat

Kurt Nelhiebel hat einen Nachruf nun wirklich nicht verdient. Zum einen ist es unfair, dass dieser bedeutende Bremer Journalist, 97-jährig, überhaupt gestorben ist –am Armistice-Tag, an dem die zivilisierte Welt sich ans Ende des Ersten Weltkriegs erinnert. Zum anderen sind Nachrufe immer von so einer sedierenden seifigen Süßlichkeit, die nur den Wunsch nach Vergessen befördert. Wie aber soll das zu Kurt Nelhiebel passen, der einst Nachrichten-Chef bei Radio Bremen und – als Conrad Taler – bis zuletzt als meinungsstarker Publizist aktiv war?

Denn dieser Mann war auch im hohen Alter auf eine gute Weise ruhelos. Die Bitterkeit der Vergangenheit war Ursprung einer Haltung, ohne die guter Journalismus nicht möglich ist. Die Begegnung mit dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer beim ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess hat er als prägendste berufliche Erfahrung, als ständigen Antrieb geschildert. Dass die Gegenwart sich seit den 1990ern auf den Weg macht, die Vergangenheit zu vergessen, um sie zu wiederholen, hat ihm sein Alter ziemlich vergällt.

Radikal unversöhnt

Der letzte veröffentlichte Text von Nelhiebel wirft am 1. September jedenfalls gleich zu Beginn die Frage auf, wie viele Deutsche wohl an jenem Datum an den Kriegsbeginn 85 Jahre zuvor gedacht hätten. „Die meisten Nachkommen des Volkes der Erbauer von Gaskammern, in denen sie Menschen wie Ungeziefer töteten, werden sicher mit anderen Dingen befasst sein“, lautet Nelhiebels deprimierte Antwort. Sie hätten davon wohl nie etwas gehört. „Zumindest würden sie das behaupten.“

Kurt Nelhiebel war radikal unversöhnt. Das heißt nicht, dass er ein unglücklicher Mensch gewesen wäre. Im Gegenteil, wer ihn in seinem Büro unter der Dachschräge im Einfamilienhaus in Habenhausen besucht hat, bekam den Eindruck: Hier geht jemand voller Begeisterung und Freude in seiner Arbeit auf. Diese Arbeit bestand aber nun einmal darin, die unangenehmen und die schrecklichen Seiten des Landes so präzise zu bestimmen wie nötig und die Erinnerung an sie zu bewahren.

Nelhiebel, in Jablonné v Podještědí geboren und unter abenteuerlichen Bedingungen aus der ČSSR geflüchtet, erfasste das kalte Grauen, wenn er sich mit dem Revanchismus der Sudetendeutschen, also seiner Landsleute, auseinandersetzen musste. Er empörte sich über den Geschichtsrevisionismus von Ex-Bundespräsident Joachim Gauck, der in Festreden Gulag, Hiroshima und Auschwitz zusammenrührt zu etwas, was Nelhiebel voll Ekel als „Schleimspur des Zeitgeists“ bezeichnete. Und er deckte auf, wie systematisch Medien im Nachkriegsdeutschland erwünschtes Vergessen produzieren konnten.

Am eindrucksvollsten war das bei der Erschießung des 21-jährigen Philipp Müller durch die nazidurchseuchte nordrhein-westfälische Polizei im Mai 1952. Müller hatte in Essen gegen die Wiederbewaffnung protestiert. Er war damit der erste von der Polizei getötete Demonstrant der Bundesrepublik. Über diesen offenkundigen Einschnitt in die Geschichte ihrer Öffentlichkeit finden sich in ihren Presse-Archiven jedoch kaum Nachrichten.

Berichtet hatte allenfalls das KPD-Blatt Neue Volks Zeitung,für das Nelhiebel damals arbeitete. Auch dessen Propaganda-Sound traute er später nicht mehr. Auch deshalb hat er den Fall 65 Jahre später akribisch rekonstruiert. „Anatomie eines Lügenkomplotts“ heißt der Aufsatz, erschienen als Teil der Sammlung „Gegen den Wind“: ein Buchtitel, der Selbstverständnis und journalistisches Ethos Nelhiebels bestens zusammenfasst. Benno Schirrmeister

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