der kommentar: Vorbild Dänemark
Es muss doch ein Patentrezept geben! Es kann doch nicht sein, dass Menschen in Deutschland arbeitslos sind – und es bleiben. Also wird in die Nachbarländer geblickt, nach Vorbildern gesucht. So macht es auch die Hartz-Kommission, wenn sie etwa die Zumutbarkeit von Jobs neu definieren will oder über einen Niedriglohnsektor nachdenkt.
Doch schon das Beispiel von nur fünf europäischen Nachbarländern zeigt: Es gibt kein Patentrezept, sondern mindestens so viele Modelle wie Regierungen. Manche wirken ganz erfolgreich, wie Schweden und Dänemark; andere schrecken eher ab, wie Großbritanien, Frankreich und inzwischen auch die Niederlande.
Aber ist nicht alles ganz einfach? Warum machen wir es nicht wie Dänemark? Das sieht doch gut aus dort! Stimmt. Aber anders, als man denken könnte.
Denn die Arbeitslosenzahl haben die Dänen zwar halbiert – aber sie haben kaum neue echte Stellen geschaffen. Stattdessen haben sich etwa eine Million Arbeitnehmer verflüchtigt. Sie sind im Vorruhestand oder gar im Vor-Vorruhestand, nutzen den Erziehungsurlaub oder bilden sich ein Jahr lang fort, sitzen auf subventionierten Jobs oder werden „aktiviert“. Ähnlich erklärt sich das schwedische Beschäftigungswunder.
Also alles nur Schummel? Das kommt auf den Maßstab an. Obwohl die Skandinavier es selbst vielleicht gar nicht so sehen: Sie verfolgen die einzige Strategie, die noch Zukunft hat. Faktisch ist für sie Beschäftigungspolitik nichts anderes als Sozialpolitik. Obwohl es nicht immer gelingt und die Ausländer zu kurz kommen: Es geht um die Integration von Minderheiten. Auch wer sich gar nicht oder nicht schnell genug an die moderne Arbeitswelt anpassen kann, soll eine Chance bekommen, soll Ausbildung und Einkommen erhalten. Und wenn er keinen Job findet, der sich selbst trägt, dann wird er eben subventioniert.
Klar, auch die Dänen könnten und sollten sehr viel großzügiger sein. Aber ihr Modell wäre „die richtige Richtung“, nach der die Hartz-Kommission doch so engagiert sucht.
Richtig, weil Beschäftigungspolitik eben nicht mehr ausschließlich als ein Synonym von Wirtschafts-, Wachstums- und Arbeitsmarktpolitik gesehen wird.
Richtig, weil man – durchaus uneingestanden – nicht mehr an die Vollbeschäftigung glaubt und sich deshalb an die nahe liegende Aufgabe macht. Nämlich: Wenn die strukturelle Arbeitslosigkeit immer stärker zunimmt, wie können wir sie dann wenigstens sozial gerecht verteilen?
Die Antwort überzeugt: Das dänische Modell baut faktisch nicht die Arbeitslosigkeit ab, sondern die Langzeitarbeitslosen. Dafür sind viel mehr Leute zwischendurch mal ohne Erwerbsarbeit, um stattdessen im Erziehungsurlaub oder bei der Weiterbildung zu sein. Und beides sind doch schöne Optionen. ULRIKE HERRMANN
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