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der housesitterDie erste Nacht

Z-D-Z-Z-D

Die erste Nacht habe ich schlaflos verbracht. Hatte ich alle Türen wirklich wieder verschlossen? Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Nicht einmal daran, die Türen wieder richtig ins Schloss gezogen zu haben. Vier Nachbarn und Freunde haben mir insgesamt ein halbes Kilo Schlüssel gegeben, um ihre Wohnungen zu hüten, die Post, die Blumen und die Haustür zu versorgen. Ein verantwortungsvoller Job. Und dann gleich vier Sekundenblackouts am ersten Tag – das kann man sich eigentlich nicht leisten.

Bei der Runde am Frühmorgen des nächsten Tages war aber doch alles in Ordnung und jede Tür ordnungsgemäß verschlossen. Das ist nicht allzu schwer, denkt man. Doch weit gefehlt.

Jede Wohnungstür hat ihren eigenen Schließmechanismus, den der Bewohner natürlich aufs intimiste kennt, einen Nachbarn aber, der zwei Wochen auf die Wohnung aufpassen soll, vor ungeahnte Herausforderungen stellen kann. Und manchmal zur Verzweiflung bringt.

Frau F. beispielsweise, die oben im vierten Stock wohnt und von ihrem Rucksack fast erdrückt wurde, als sie klingelte – sie macht dieses Jahr eine Mountainbike-Tour in den Karpaten –, erklärte atemlos, weil „gleich der Zug am Ostbahnhof geht“: „Die Tür ist etwas kompliziert: Erst ziehen, dann ein bisschen drücken, aber das schaffen Sie schon.“ Dann drückte Sie mir noch einen Zettel in die Hand – „für die Blumen“– und wäre beinahe die Treppe hinuntergesegelt.

Den Oleander auf dem Balkon soll ich nun also täglich je nach Wetter am besten zweimal gießen, der Kaktus bekommt übernächsten Mittwoch 8 Milliliter Nährlösung. „Neben dem Topf liegt eine kleine Spritze.“

Es war an dem Tag ziemlich heiß, und ich konnte mir abends schon vorstellen, wie sich der Oleander hängen ließ. Wie war das noch gleich? Drücken/ziehen oder ziehen/drücken? Beim zehnten Versuch, die verdammte Tür aufzubekommen, ich war schon bei Z-D-Z-Z-D fortissimo angelangt, knackste es nicht nur verdächtig in den Angeln und im Schlüssel. Beim Nachbarn knurrte es.

Also behutsam: Als richtige Kombination stellte sich dann Z-D-S heraus, also ziehen, drücken und dabei gleichzeitig die Tür nach oben stemmen. Das klappt wirklich butterweich.

Bei den anderen Nachbarn sind die Türen etwas handlicher, wenn man die Schlüssel auseinander bekommt. Bei Familie M. muss man drei Schlösser in einer bestimmten Reihenfolge aufschließen, bevor sich die Stahltür aufstemmen lässt, bei meinen Freund K. habe ich den entscheidenden Unterschied zwischen dem Briefkasten- und dem Wohnungsschlüssel noch immer nicht entdecken können.

Ach übrigens: Frau F., die mit einem aufgeschürften Kinn aus den Karpaten wiederkam, hat mir freundlicherweise die Kosten für den Nachschlüssel, den ich sicherheitshalber habe machen lassen, ersetzt. JÖRN KABISCH

Jörn Kabisch geht diesen Sommer nicht wie seine Kollegen nach Feierabend ins Schwimmbad. Er hütet Wohnungen.

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