der europäische moment: Berlin – Porto – Berlin
Wir beklagen die Veränderung in unseren Städten, teilen den Schmerz der Gentrifizierung und fliegen immer weiter, weil es sich auf den Pflastersteinen Portugals halt sehr gut läuft
Von Viktoria Morasch
Am Flughafen in Berlin: Ein Mann hält ein Kind an seiner Hand, die andere Hand des Kindes hält die Mutter. Die andere Hand des Mannes hält zwei Pässe. Einer polnisch, einer portugiesisch. Sie sprechen Englisch miteinander. Mit dem Kind die Muttersprachen, die sich phonetisch trotz fehlender Verwandtschaft ähneln. Großstädter, kurz davor, eine Ryanair-Maschine zu besteigen.
Nichts gegen die Demokratisierung des Tourismus, auch die taz kann sich nur low cost leisten. Und doch: Wir beklagen die Veränderung in unseren Städten, teilen den Schmerz der Gentrifizierung und fliegen, reisen trotzdem immer weiter, weil es sich auf den glatten Pflastersteinen Portugals halt auch sehr gut läuft.
Touri I: „Ich feier diesen Boden.“
Touri II: „Warst du schon mal in Rom?“
Das Café Progresso, Fortschritt, war das älteste in Porto. Dann haben sie es umgebaut, hip gemacht, die Gäste sollten sich einen großen Tisch in der Mitte teilen. Sie haben ein paar Leute rausgeschmissen und andere eingestellt, die Englisch können und Fruchtcocktails shaken. Dann haben sie den Laden geschlossen, jetzt wird ein teures Restaurant daraus.
Was ist das für eine Haltung, in eine andere Stadt zu reisen und zu hoffen, sie hat sich nicht verändert? Das Gefühl, diese Stadt gehöre irgendwie doch mir.
Touri III: „Das ist ein schleichender Prozess …“
Touri IV: „Des isch ein Gschäft, wo die Einheimischen noch neigehen.“
Seit einigen Jahren kommen die Möwen in die Innenstadt, weil mehr Müll da ist, mehr Krümel zu finden sind. Touristen besuchen Kirchen in Vierteln, in denen zu wenige Omas für Gottesdienste leben. Der Royal Cocktail Club war mal ein Laden für Handwerker.
Touri V: „Where are you from? From Germany! I went there last year for Oktoberfest. You have amazing bread there.“
Was ist eigentlich das Problem, wenn Leute kommen, die doch nichts anderes wollen, als eine gute Zeit zu haben?
Einwohner I: Ihr könnt doch nichts als Fotos machen!
In der Rua Alexandre Braga hat es gebrannt, zwei Mal in einer Woche. Die Mieter wollten nicht ausziehen. Fünf Verletzte, ein Toter.
In der Rua da Ceuta soll ein reicher Libanese drei Gebäude gekauft haben, da kommen Apartments rein und Rooms. Für das Geld, das der Libanese hier investiert hat, bekommt er das Golden Visa, Schengen inklusive.
Schild: Looking for property in Porto? Get the app everyone uses.
Werbung auf Facebook: Moving to or living in Portugal? We can help you protect your wealth.
In der Rua do Almada verkauft ein Laden: Schrauben, Dichtungsringe, Souvenirs. Gegen Bezahlung kann man Gepäck abstellen.
Es wird gebohrt und geklopft. Verhüllte Häuser, Kräne, Hostels und Baustellen, die zu Hostels werden. Kräne, die auf Häuser fallen – allein im April fielen zwei.
In der Rua Almada hat José Silva, 73, seinen Trödelladen. Er trägt einen Pullunder über dem Hemd, es läuft klassische Musik, Silva ist Tenor und singt im Kirchenchor. „Das ist eine Geisterstadt. Im Namen der Touristen wird hier alles Mögliche gemacht. Die Politiker sagen: An erster Stelle stehen die Bewohner. Ja, weil sie die ersten sein werden, die verjagt werden.“
In den Hinterhöfen entstehen Apartments, das waren mal Grünflächen. „Käfige für Grillen“, sagt Silva. Und: „Morri politicamente“, was die Politik angeht, sei er gestorben. „Ein Ehepaar um die 80 musste wegziehen, ich weiß nicht wohin.“
Und das Gesetz, das alte und kranke Mieter schützen soll? „Wir sind kein Land der Gesetze, Mädchen!“
Beautiful, très jolie, bellissimo – sagen die Europäer, wenn sie in den Laden kommen. Sie kaufen aber nichts. „Kein Platz im Handgepäck“, sagt Silva. Die Südamerikaner und Asiaten kaufen, ein Vietnamese kommt jedes Jahr und eine Pianistin aus China. „Früher sind wir nach Deutschland, um zu arbeiten, um das Land wieder aufzubauen und Arbeit zu machen, die keiner sonst machen wollte. Jetzt sind wir zwar hier, aber wir putzen die Hintern von Tausenden Touristen.“
Ein hippes Café, leer, der Kaffee teuer. Ein Pancakeladen mit schlechten Pancakes, aber immer voll. Kräne haben die Plattenbauten im Sozialviertel abgerissen. Parks, die früher gefährlich waren, sind es nicht mehr. In Porto kann man jetzt brunchen.
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