demokratie, das reich der mitte von WIGLAF DROSTE:
Die FDP hat es geschafft – zumindest auf die Titelseiten. Aus allen Blättern hängen die Visagen von Guido Westerwelle und Jürgen Möllemann, im Folgenden W&M genannt, lang wie breit heraus. An der Schönheit des Schnäuzer-und-Akne-Duos kann das nicht liegen – wohl eher schon daran, das es W&M gelingt, aus Journaillisten ein ganz besonders unangenehmes Motiv herauszukitzeln: den Ehrgeiz, einen publizistischen Wächterpreis einzukassieren, also mit der spezifischen Mischung aus Schreibunfähigkeit und Zwopfenniggesinnung Karriere zu machen.
Öffentliche Händeringerei ist in den Rang demokratischer Pflichterfüllung gelangt. Selten war ein Bonitätsorden so billig zu haben: Ein paar staatstragende Mahnerphrasen abgekippt, schon gehört man zum Club. Die angebliche Vierte Gewalt (die nach den Amokschüssen von Erfurt aber um Himmels willen nicht mehr „Gewalt“ heißen will, o nein!) hockt am Schreibtisch und behauptet sich ein Deutschland zusammen, das es nicht gibt und auch nie gab. W&M, las man, gäben den „Grundkonsens aller Demokraten“ auf. Was wäre der denn gewesen? Das beharrliche Repetieren der Lüge, in Deutschland gäbe es seit dem Tod des Österreichers Hitler keine Antisemiten mehr?
Stark wurde sich gesorgt um W&Ms Truppe: „Bleibt sie eine anständige neoliberale Partei?“ Über die Fantasie, mir vorzustellen, was das sein sollte oder könnte, „eine anständige neoliberale Partei“, verfüge ich nicht. So etwas Vages, Allgemeinplatziges wie Gerhard Schröders „Aufstand der Anständigen“? Wozu sollte man das brauchen, wozu sollte das gut sein – außer dazu, sich der eigenen Schwerokayheit zu versichern?
Die deutsche Hypokrisie kennt keine Grenzen. Sie wollten das: ein neues, befreites, selbstbewusstes Deutschland, Berliner Republik genannt. Sie redeten es herbei, sie schrieben es gut und gaben ihm Carte blanche, und wenn ihre frommen Wünsche von der wirklichen Wirklichkeit abwichen, wurde die Wirklichkeit weggeschickt. Rechtsradikale und Antisemiten, deren Existenz man allenfalls zähneknirschend ungern zugab, wurden klein geredet und einem ominösen rechten Rand zugeordnet. Es ist aber die gesellschaftliche Mitte, die den rechten Rand nicht halten kann. Damit will die Politik nichts zu tun haben, sondern ergeht sich in wohlfeilem moralischem Gekäse – das sich jetzt zum Geschrei steigert.
So sucht sich die Mitte Politiker, die ihr gefallen. Gegen die offiziöse Schönheuchelei wirkt das authentisch Ekelhafte Jürgen Möllemanns auf viele in erster Linie authentisch. Von einem, der sich als Antisemit profiliert hat, eine Entschuldigung zu verlangen, ist dumm: So erhält Möllemann die Gratisgelegenheit, sich als Mann von Ehre und cojones auszustellen. Er nutzt sie weidlich – er bekommt Zulauf wie Karnickel Junge. In der heutigen Jungen Freiheit findet sich ein Interview mit Eckhard Henscheid, der über Möllemann sagt: „Wenn Möllemanns Aussagen tatsächlich schon einen Klimawechsel in Deutschland bewirken sollten, dann hat dieser Klimawechsel meinen Segen.“ Willkommen im Reich der Mitte.
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