dehnungsfaust und nasenata:
von WIGLAF DROSTE
Wenn er sich auf seinen Lese- und Gastspielreisen ins Hotelregister eintrug, gab Joachim Ringelnatz als Beruf „Reisender Artist“ an. Das trifft die Daseinsform des Lesereisens sehr gut. Es hat etwas von Zirkus, und manchmal trifft man zufällig auf die Spuren der Clowns und Affen der Manege. Im Gebhardts Hotel in Göttingen verewigten sich Joachim Besing und Eckhard Nickel im Gästebuch: „Joachim Besing, Writer“ und „Eckhard Nickel, Bourgois“. Blasierter als diese von Schlips und Nasenata notdürftig zusammengehaltene Windeierei ist nur noch ein literarischer Betrieb, der sich von solch matten, aufdringlichen Blendern große Welt und Dichtkunst vorspielen lässt. Dagegen wirkt der Eintrag von Udo Jürgens ins selbe Gästebuch schon tröstlich: „Endlich! Nach 21 Jahren wieder hier!“, jubelt sich’s der Sänger aus dem Kugelschreiber, und man ahnt, wie schlecht es dem Mann gegangen sein muss die letzten 21 Jahre.
Auch die Stadtbibliothek Gaggenau hat ein Gästebuch; Max Goldt hinterließ seine ornamentale Kringelschrift, Elke Heidenreich und Harry Rowohlt grüßen einander mit: „Mensch, Du hier?!“ Über eine Einladung nach Gaggenau muss man sich besonders freuen, denn sonst wüsste man gar nicht, dass es Gaggenau gibt, und das wäre doch schade, oder?
Untergebracht wird der Lesegast im Park Hotel, das nicht nach Fritteuse riecht und aus dessen Fahrstuhl nicht Sirupmusik austritt; das klingt beides selbstverständlich, ist es aber überhaupt nicht. Nachdem ich eine Nacht im Europäischen Hof in Hamburg weniger schlief als zubrachte, steht der Entschluss fest, mein Leben dem Kampf gegen die Fritteuse zu widmen. In Gaggenau hatte ich diesbezüglich frei und konnte das Hotel erkunden. Im 2. und im 4. Stock gab es jeweils einen Automaten, aus dem man Filme entleihen konnte; die Zimmer waren mit einem Videorecorder ausgestattet, nicht mit dem sonst üblichen Pay-TV – einer Einrichtung, die kaum eine andere Vorstellung ermöglicht als die von sehr, sehr einsamem Vertretereiweiß.
Die Verleihlisten neben den Videoautomaten verhießen Ähnliches; ich studierte sie genauer: „Sexqueen auf Abwegen“ und „Room Service plus“, „Die kleinen Pariserinnen“, „Telefon Sexofon“, „Nachhilfe in Sachen Liebe“, „Reifeprüfung auf der Schulbank“: och nöö! Den Beruf des Pornofilmtitelausdenkers hatte ich mir in meiner Naivität immer etwas kreativer vorgestellt. Ich arbeitete mich weiter durch die Titelliste. „Rammel & Co KG“, „Der Lustprofessor“, „Die Stoß-Thearapie“, „Anal Gier“, „Lüsterne Hausfrauen“, „Honeymoon Huren“, „Sex Karriere“: Das alles klang nicht nach inspirierten Menschen, angetreten, auch einem harten, prosaischen Gewerbe noch Poesie abzutrotzen. Beim zwanghaft lockeren „Fick mich, Nachbar“ wurde mir leicht schwummerig, dann kamen die Tiefschläge: „Oma pervers“, „Klistier und Lesbenstiche“, „Gestopfte Löcher“, „Harte Stöße tun gut“. Während mir bei „Dehnungsfaust“ schlagartig der Schweiß ausbrach, las ich noch: „Zärtlichkeit ist Nebensache“. Komisch – das hatte ich mir irgendwie schon gedacht.
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