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Archiv-Artikel

daumenkino „Der Unbequeme“

Nun also auch ein Filmheld: Kann man Günter Grass nach den Feuilletonschlachten der letzten Monate nicht einmal im Dunkel des Kinosaals entkommen? Keine Sorge: Noch hat Bernd Eichinger die Häutungen unseres Literaturnobelpreisträgers nicht verfilmt, noch müssen wir nicht womöglich Sebastian Koch als jungen SS-Mann und späteren Autor mit Schnauzer erdulden.

Vorerst bleibt es bei einem einfühlsamen Dokumentarfilm über den Alltag eines Großschriftstellers. Zwei Jahre lang haben die Regisseurinnen Nadja Frenz und Sigrun Matthiesen Günter Grass mit der Kamera begleitet, zufällig in der Entstehungszeit seines Erinnerungsbuches „Beim Häuten der Zwiebel“. Patriarch und Profi, zwischen Stille und Trubel: Grass schmaucht Pfeife im Kreise seiner Übersetzer, nachdem er ihnen Danzig gezeigt hat. Zu Hause in Behlendorf berät er mit Verlagsmitarbeitern die Werbung für das Buch und diskutiert am Computer in Göttingen mit Verleger Gerhard Steidl die Details des Buchumschlags. Im Atelier formt er Terrakottafiguren; mit Tochter Helene – sie nennt ihn „Väterchen“ – liest er in Paris gemeinsam aus des „Knaben Wunderhorn“. Im Kanzleramt wartet er auf Gerhard Schröder, mit dem es gleich in den Wahlkampf geht. Dem verlegenen Staatspräsidenten im Jemen empfiehlt er die Freiheit der Kunst. Bei Rotwein diskutiert er mit Schülern; mit begeisterten Germanistinnen aus Taiwan posiert er für ein Foto.

Als ruhiger Kontrapunkt ist diese Hommage nach all den aufgeregten Debatten gelungen. Der private und der öffentliche Günter Grass werden in intimen, oft amüsanten Szenen präsentiert. Doch das rosarote Abendlicht, in das der Film das Schriftstellerantlitz taucht, beschönigt enorm. Neben den rühmenden Tönen von Amos Oz, Hans Magnus Enzensberger, Salman Rushdie oder Gerhard Schröder erklingt keine einzige kritische Stimme; der bekanntermaßen leidenschaftliche Grass wirkt niemals verärgert oder verletzt; die heftigen Diskussionen um sein Buch tauchen in Form von Zeitungsschlagzeilen oder einer wild knipsenden Paparazzimeute auf. Dass dieser friedliche Opa ein mächtiger und bis heute umstrittener deutscher Künstler ist, kann und will diese elegische Dokumentarpropaganda nicht zeigen.

Wie eine Beschwörung mutet es daher an, wenn am Ende der altersmilde Dichter rezitiert: „Mit einem Sack Nüsse / will ich begraben sein,/ und mit neuesten Zähnen. / Wenn es dann kracht, / wo ich liege, / kann vermutet werden: er ist das, / immer noch er.“ ALEXANDER CAMMANN

„Der Unbequeme. Der Dichter Günter Grass“. Regie: Nadja Frenz und Sigrun Matthiesen. Deutschland 2007, 87 Minuten