daumenkino: Tuvalu
Wenn ein Film so wahnsinnig poetisch daherkommt, wenn man sich darauf gefasst machen kann, dass in jeder zweiten Rezension von Vision und Fantasie die Rede sein wird, und wenn dieser Film dann auch noch auf vielen kleinen Festivals viele kleine Preise bekommt, dann könnte man den Film eigentlich Film sein lassen. Andererseits ist Veit Helmers „Tuvalu“ ein so verlogen vor sich hin menschelndes Stück Pseudo-Nostalgie, eine in ihrer cineastischen Attitüde so scheinheilige Gesamtkalkulation, dass man ruhig ein bisschen schimpfen kann.
Der auf altmodisch getrimmte Semi-Stummfilm bedient sich bei den klassischen Stilmitteln des osteuropäischen Kinos. In perfekt ausgeleuchteten, monochrom verfremdeten Bildern entsteht die große Metapher vom liebenswerten Anton, der dem alten Vater in einem verfallenen Schwimmbad vorgaukelt, dass immer noch der glückliche Badebetrieb der alten Zeiten herrsche. Antagonistischerweise gibt es auch einen bösen Spekulanten-Bruder, der das Bad verhökern will.
Kapitalismuskritisches Kino, das seinen eigenen Illusionscharakter miterzählt etc. Helmers anbiederndes Märchen hat einen durchaus parasitären Zugriff. Da wird eine formale Tradition und aberwitzige Bildwelt rekonstruiert und ausgebeutet, ohne ihr etwas Eigenes abzugewinnen. Ja, Veit Helmer hat im alten Zentralbad von Sofia gedreht, ja, er hat in 12 Ländern Probeaufnahmen mit 1.100 Schauspielern gemacht, und ja, das Ganze wurde aus 70 Tonspuren und mit aufwendigen Farbverfahren zusammengesetzt. Technischer Großeinsatz für einen Film, der seine antimodernistische Naivität und Unschuld wie auf dem Silbertablett vor sich her trägt.
„Tuvalu“ ist, bei aller Abneigung gegen das inflationär verranzte Wort, nicht einmal poetisch, sondern allenfalls poetelnd. Das ist ein wunderschön niederträchtiger österreichischer Ausdruck, vollgesogen mit 200 Jahren Sacher-Torten-Lästerei, der durch die besondere Aussprache seines „l“ doppelt verächtlich klingt (Sprachforscher sprechen in diesem Zusammenhang vom „Meidlinger ‚l‘ “, das nach einem Wiener Stadtteil benannt ist). „Tuvalu“ ist so poetelnd wie das wienerische Ende vom Wiener Schnitzl. Überhaupt, ein schnitzlhafter Schmarrn, der Film. KATJA NICODEMUS
„Tuvalu“, Regie: Veit Helmer. Mit Denis Lavant, Chulpan Hamatova u. a. Deutschland 1998, 92 Min.
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