daumenkino: Die Königin
Vielleicht war sie tatsächlich mal eine Herrscherin, aber dass ihr ein ganz bestimmtes Reich verloren gegangen ist, wird kaum jemand bedauern. Marianne Hoppe, deutscher Star, große Theatertragödin und eine von Goebbels’ Filmfavoritinnen, ist heute vor allem Königin des Verdrängens, wobei die Übergänge zwischen echten Alzheimer-Löchern und dem Wegschieben der Nazizeit fließend sind. Für die genaue Natur dieser Leerstellen interessiert sich Werner Schroeter in seiner inszenierten Doku-Biografie „Die Königin“ weniger, eher macht er sich zum Komplizen einer manchmal etwas selektiven Amnesie.
So zum Beispiel, wenn er mit der Hoppe zum preußischen Gut ihrer Eltern fährt, wo sie ausgiebig bedauert, dass die Russen das Gebäude nach dem Krieg so gemein verwüstet haben. Ansonsten gerät sein Film zur Parade der Freunde und Bewunderer, die Madame huldvoll an sich vorbeiziehen lässt. Robert Wilson schwärmt von ihrer Männlichkeit, Martin Wuttke bewundert ihre produktiven Absenzen, und Jungschauspielerinnen erbringen ihre Hommage in Spielszenen. Bei so viel Mariannenkult ist man geradezu erleichtert, wenn die Hoppe in historischen Filmszenen für sich selbst steht – mit ihrem verwegenen Blick, der später auf der Bühne so wunderbar herrisch wirken konnte.
Schroeters Umgang mit seinem Star schwankt von einer in ihrer Schwülstigkeit schon wieder komischen Anbetung und der Durchtriebenheit eines frechen Enkels, der seinen Freunden die tattrige Omi vorführt. Etwa bei der Wiederbegegnung mit der Schauspielerfreundin Lola Müthel: „Mensch, Marianne, erinnerst du dich ...?“ Marianne Hoppe: „Ja, ja, natürlich.“ (Pause) „Woran eigentlich?“
Vielleicht ist „Die Königin“ einfach ein Film, der in der Luft liegt. Wenn Feuilletons Leni Riefenstahl zum Pop erklären, wenn Carola Höhn, Filmsternchen der 30er-Jahre, fröhlich flötend neben der „Marlene“-Darstellerin Katja Flint in der SFB-Talkshow gefeiert wird und weder Moderatoren noch Publikum etwas dabei finden, dass sich beide über eine egozentrische Dietrich auslassen, die ja nur aus Karrieregründen nach Amerika gegangen sei – dann darf der Hoppe in einem devoten Dokumentarfilm über sich selbst auch das eine oder andere entfallen, ohne dass irgendwer sie daran erinnern müsste. Oder?
KATJA NICODEMUS
„Marianne Hoppe – Die Königin“. Regie: Werner Schroeter. Deutschland 2000, 101 Min.
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