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das wirdObacht in Osnabrück

Ein Mini-Theater-Festival in Osnabrück widmet sich Polen – wie bereits die ganze Spielzeit

Von Harff-Peter Schönherr

Uwaga. Wer Polnisch spricht – und Osnabrücks polnische Community ist groß – erkennt, welchen Erwartungsdruck sich das Theater Osnabrück mit diesem Festivaltitel auferlegt: „Uwaga“ bedeutet „Achtung“, „Aufmerksamkeit“, „Beachtung“. Wer kein Polnisch kann, braucht vielleicht Nachhilfe. Aber eigentlich funktioniert der Titel auch ohne, meint Tobias Fritzsche, der Sprecher des Theaters: „Das Wort klingt auf den ersten Blick sehr rätselhaft, und genau das finden wir gut“, so der Hintergedanke. „Wenn man es nicht sofort als polnischen Begriff erkennt, ist das gar nicht schlimm.“

Außerdem markiert das Festival den Abschluss einer Spielzeit, die dem Länderschwerpunkt Polen verschrieben war, nach Spielzeiten zu Syrien und der Türkei. Etwas verstörend bleibt hingegen die Behauptung, mit dem Festival den EU-Beitritt Polens vor 20 Jahren zu feiern, ohne dabei jeden inhaltlichen Bezug zum Verhältnis Warschau–Brüssel im Programm zu verankern. Das war schließlich bis zum Regierungswechsel geradezu dramatisch angespannt.

Einer der herausforderndsten Acts der achttägigen Veranstaltungsreihe, die vom Sprech- bis zum Musiktheater reicht, vom Film bis zum Tanz, von der Performance bis zum Talk, ist „Peregrinus“, ein bitteres, düsteres, zutiefst beklemmendes Straßentheaterstück des KTO ­Teatr aus Krakau. Wesen mit grotesk übergroßen, innere Kälte und Qual spiegelnden Masken erobern hier den Raum, entindividualisiert, sich selbst ebenso fremd wie uns. Es ist der Mensch der Zukunft, der uns hier entgegentritt, stumm, jeglichen Gefühls beraubt, zerfressen von Rollenerfüllung: Er besteht nur noch aus Fassaden, hinter die niemand blicken soll und kann, so lässt sich die Warnung der Fratzen übersetzen. Für Mitmenschlichkeit hat er keine Sensorik mehr, für den Zauber des Lebens, die Schönheit der Welt.

Und dass T. S. Eliots Gedicht „The Hollow Men“, an dem sich Regisseur Jerzy Zoń für „Peregrinus“ bedient, mit „This is the way the world ends“ schließt, lässt ahnen, was wir zu werden drohen, konformistisch, lenkbar, selbstausbeu­tungs­bereit, wenn wir uns nicht infrage stellen: Schatten unserer selbst.

„Peregrinus“ ist vor dem Osnabrücker Rathaus zu sehen, ohne Anmeldung, ohne Eintritt, als Intervention im urbanen Raum. Das ist gut so. So findet das Geschehen inmitten der Alltagsmenschen statt, von denen es handelt. Das Festival spannt den Bogen seiner Gastspiele und Eigenproduktionen weit – über alle Genres, alle Altersklassen. Die gesungenen Märchen und Legenden des Schattentheaters „Brüder der Nordlichter“ des Teatr Figur Kraków konfrontieren auch mit Finnisch und Estnisch, Litauisch und Lettisch. Die Zielgruppe beginnt bei Kindern im Vorschulalter. In der Kapelle des Hasefriedhofs begegnen jiddische Texte und Lieder des NS-Opfers Mordechai Gebirtig, in „Blayb gezunt mir, Kroke / Lebe wohl, mein Krakau“.

Es wird über Transkulturalität diskutiert, über Asyl- und Migrationspolitik. Es wird feministisch getanzt. Es werden Brücken zur bildenden Kunst geschlagen. „Neue Sichtweisen unseres Nachbarlandes Polen“ sollen sich dabei einstellen. Ob das gelingt, bleibt abzuwarten.

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