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das wird„Privileg tendiert eher zum diffusen Kampfbegriff“

Im Philosophischen Café in Hamburg spricht Jörg Scheller über seinen Essay „(Un)Check Your Privilege“

Interview Paul Weinheimer

taz: Sind Sie privilegiert, Herr Scheller?

Jörg Scheller: Ja, in gewisser Hinsicht. Man debattiert häufig über das Thema, ohne die Hinsichten zu spezifizieren. Ich bin durchaus privilegiert, zum Beispiel in Bezug auf meinen Pass, durch den habe ich gewisse Sonderrechte wie Reise- und Visumsfreiheit. Bei anderen Dingen sind es eher Vorteile oder Glück.

Wieso sind Vorteile keine Privilegien?

Da beginnt die Differenzierungsarbeit: Wenn man eine gerechte Behandlung als Privileg, also „Vorrecht“, definiert, kommt man in ein schwieriges Fahrwasser. Man sollte besser sagen, jemand werde trotz bestehender Rechtsgleichheit ungerecht behandelt. Es gibt Privilegien ja weiterhin als von oben gegebene Vorrechte, diese dürfen nicht mit rechtmäßiger Behandlung in einen Topf geworfen werden, sonst verwässert man echte, zumal unfaire Privilegien.

Wieso verhindert diese Art über Privilegien zu sprechen Gerechtigkeit?

Ich finde, dass sich trotz aller bestehenden Ungerechtigkeiten einiges in Bezug auf soziale Mobilität getan hat. Und damit meine ich nicht diesen vulgär-libertären amerikanischen Traum, dass alle alles schaffen können. Das ist Quatsch. Aber wir leben nicht mehr in einer rigiden Ständeordnung.

Inwiefern?

Wenn man sich den Social Mobility Index anschaut, dann sieht man, dass in Ländern wie Schweden oder der Schweiz sozialer Aufstieg möglich ist. Die Zauberformel lautet: sozial plus liberal. Zudem gibt es gruppenspezifische Unterschiede. Nigerianer etwa steigen in den USA sehr schnell auf, Somalier eher nicht. Die Differenzierung von: Weiß ist gleich privilegiert und Schwarz unterprivilegiert, ist unscharf und damit ungerecht.

Spricht Ihre Aufforderung „(Un)check your Privilege“ nicht von Verantwortung frei?

Foto: Julius Hatt

Jörg Scheller, geboren 1979 in Stuttgart, lebt als Kunstwissenschaftler, Journalist und Musiker in diversen Schnellzügen. Er lehrt an der Zürcher Hochschule der Künste.

Würde ich nicht sagen, ich würde dem „Check Your Position“ oder „Check your Habitus“ entgegensetzen.

Was meinen Sie damit?

Die eigene Geschichte, Herkunft und Startbedingungen zu hinterfragen.

Was würden Sie darüber hinaus vorschlagen, um Machtstrukturen sichtbar zu machen?

Präzise Sprache, die das trifft, was gemeint ist, ebenso wie gute wissenschaftliche Arbeit. Privileg tendiert eher zum diffusen Kampfbegriff, der die feinen Binnenunterschiede nicht sichtbar macht. Deswegen mag ich den Song „No Lives Matter“ von Ice-T, dort spricht er über „White Trash“ und Afroamerikaner und zeigt: Beiden geht es schlecht. Daraus können sich Allianzen auftun.

Geht die Möglichkeit eines kollektiven Empowerments nicht durch zu starke Individualisierung verloren?

Dabei muss man zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung unterscheiden. Stuart Hall, der britische Kulturwissenschaftler, hat das in den 80er/90er-Jahren beschrieben: Schwarz war ein selbst gewählter Sammelbegriff für diejenigen, die aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert wurden. Nun von außen an vermeintlich homogene Gruppen heranzugehen und beispielsweise generell vom globalen Süden als unterprivilegiert zu sprechen oder Osteuropa in der Rede über „Weiße Privilegien“ auszublenden, bringt den Diskurs nicht weiter.

Buchvorstellung und Diskussion „Sind wir alle privilegiert? Oder ist es keiner?“: heute, 19 Uhr, Philosophisches Café im Literaturhaus Hamburg, Schwanenwik 38

Jörg Scheller: „(Un)Check Your Privilege. Wie die Debatte um Privilegien Gerechtigkeit verhindert“, Hirzel Verlag, 152 S., 19,90 Euro

Und in Bezug auf politische Akteure?

Manchmal ja, beispielsweise um eine größere Wucht im Aktivismus zu entfalten. Meine Kritik hat an dieser Stelle aber nicht zum Ziel, solche Bewegungen zu schwächen. Vielmehr verweist sie auf blinde Flecke, um den Einsatz für Gerechtigkeit zu stärken.

Gibt es für Sie ein Positiv-Beispiel einer solchen Gerechtigkeitsbewegung?

Ich fand die polnische Solidarność und die Bürgerrechtsbewegung in den USA immer überzeugend. Sie haben versucht, schon auf der begrifflichen Ebene möglichst wenig Kollateralschäden zu erzeugen. Es ging um Bürgerrechte, Gerechtigkeit, Gleichheit und Anerkennung, aber nicht um eine pauschale Abwertung der anderen.

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