das portrait: Hoffnung für den Libanon: Nawaf Salam wird Regierungschef
Der bisherige Präsident des Internationalen Gerichtshof, Nawaf Salam, wird neuer Regierungschef im Libanon. Am Dienstag flog er nach Beirut. Er wolle sich „sofort an die Arbeit machen“, um einen „neuen Libanon“ aufzubauen. Das Land ist in einer tiefen Wirtschaftskrise, 80 Prozent der Libanes*innen leben unterhalb der Armutsgrenze, weite Teile sind durch israelische Angriffe zerstört. Eine fragile Waffenruhe endet am 27. Januar.
Salams Ernennung zeigt eine Verschiebung der Machtverhältnisse. 84 von 128 Abgeordneten hatten ihn am Montag gewählt. Seit Mai 2022 waren sein Vorgänger Najib Mikati und dessen Minister*innen nur provisorisch im Amt. Konfessionelle Streitigkeiten und Blockbildungen führten zu politischem Stillstand. Die Hisbollah wollte, dass Mikati im Amt bleibt. In den vergangenen Jahren hatte die schiitische Partei Salam wiederholt daran gehindert, Ministerpräsident zu werden. Sie verunglimpften ihn als von den USA unterstützten Kandidaten.
Zwar ist er Sunnit – die mächtigsten Posten sind konfessionell aufgeteilt – doch er gilt als integer. Der 71-Jährige ist Rechtsanwalt und Richter. Er war von 2007 bis 2017 ständiger Vertreter für den Libanon bei der UN in New York. Im November 2017 wurde er Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, seit Februar 2024 ist er dessen Präsident. Zudem hat er den Vorsitz der Genozid-Klage Südafrikas gegen Israel. Ob Salam das Amt niederlegen wird, ist noch unklar.
Salam kommt aus einer prominenten sunnitischen Familie aus Beirut. Sein verstorbener Onkel, Saeb Salam, war einer der führenden libanesischen Politiker, die für die Unabhängigkeit von Frankreich gekämpft haben. Er war mehrere Amtszeiten libanesischer Premierminister. Nawaf Salam ist in der Politik ein Neuling. Dass er nicht als Teil der politischen Elite gesehen wird, ist sein Vorteil. Denn Korruption und Misswirtschaft haben den Staat in den Bankrott geführt. Deshalb bedeutet Salams Ernennung ein Neuanfang. Er ist kein Milliardär wie Mikati, ihm gehören keine Unternehmen oder Banken. „Wir streben danach, einen modernen, zivilen und gerechten Staat aufzubauen“, sagte Salam nach einem Treffen mit dem ebenfalls neuen Präsidenten Joseph Aoun. „Es ist an der Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen, das auf Gerechtigkeit, Sicherheit, Fortschritt und Chancen beruht.“
Die Wahl von Aoun zum Präsidenten und die Nominierung von Salam werden dazu führen, dass Gelder in Milliardenhöhe aus westlichen und ölreichen arabischen Ländern wie Saudi-Arabien fließen, um das Land wieder aufzubauen. Geld, das der Staat dringend braucht. Eine neue Regierung steht vor gewaltigen Aufgaben: Eine davon wird der Wiederaufbau von Gebieten sein, die durch israelische Angriffe zerstört wurden. Eine andere, die Hisbollah davon zu überzeugen, ihre Kämpfer ins Militär einzugliedern. Auch der Kampf gegen Korruption steht an.
Außerdem soll die Hisbollah ihre Kämpfer aus dem Süden abziehen und dafür das finanziell angeschlagene libanesische Militär an der Grenze mit Israel stationiert werden. So sieht es ein Waffenruhe-Deal vor, dessen Grundlage die UN-Resolution 1701 ist. Salam bekräftigte, er wolle die Resolution „vollständig umzusetzen“ und „die Autorität des Staates auf alle seine Gebiete ausdehnen“. Er verspricht Reformen und eine unabhängige Justiz. „Wir haben viele Gelegenheiten verloren, einen souveränen und unabhängigen Staat aufzubauen. Aber die Zeit der verpassten Gelegenheiten ist vorbei.“
Julia Neumann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen