das portrait: Südkoreas Präsident Moon Jae In: zielstrebig für seinen großen Traum
Für Südkoreas Präsident ist nicht weniger als ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen: „Wir haben seit 5.000 Jahren zusammengelebt und sind nun seit 70 Jahren getrennt. Wir gehören zusammen – als ein Volk“, sagte Moon Jae In am Mittwochabend während einer überaus emotionalen Rede im 1.-Mai-Stadion in Pjöngjang. 150.000 Nordkoreaner jubelten ihm zu, applaudierten und setzten zu Standing Ovations an.
Allzu gerne würde man erfahren, was dem 65-jährigen Politiker in jenen Momenten durch den Kopf ging. Schließlich durchzieht die tragische Teilung des Landes die Biografie Moons wie ein roter Faden: Seine Eltern flohen während des Koreakriegs (1950–1953) vom Norden in den Süden. Dort kam er unter ärmlichen Verhältnissen in einem Flüchtlingslager zur Welt. Als Rekrut diente er entlang der entmilitarisierten Zone, dem waffenstarrenden Streifen an der Grenze zwischen beiden Staaten.
Politisch stieg Moon nach der Jahrtausendwende unter dem mittlerweile verstorbenen Präsidenten Roh Moo Hyun zum Stabschef auf. Als dessen engster Vertrauter begleitete er die Sonnenscheinpolitik der beiden Koreas aus nächster Nähe. Ebenso prägend erlebte er jedoch auch das epochale Scheitern der innerkoreanischen Annäherung. Diese Erfahrung sollte ihn nun beim Umgang mit Kim Jong Un vor allzu naivem Idealismus bewahren.
Es war kein Zufall, dass Moon erstmals seine Nordkoreapolitik bei einer Rede im einst geteilten Berlin darlegte. Damals, im Sommer 2017, war er frisch im Amt. Seine kühne Vision der Annäherung mit dem Kim-Regime schien angesichts der düsteren geopolitischen Lage und dem seit Jahrzehnten festgefahrenen Konflikt reichlich naiv. Viele der anwesenden Experten, Journalisten und Professoren im Publikum haben ihn belächelt.
Über ein Jahr später sind die Pläne des linksgerichteten Politikers nun auf beeindruckende Weise aufgegangen. Mit viel diplomatischem Geschick hat Moon als Vermittler zwischen den Interessen Washingtons, Pjöngjangs und Pekings Vertrauen aufgebaut. Es war ein schmaler Grat, den Südkoreas Präsident gegangen ist – einerseits die jahrzehntealte Allianz mit Washington nicht zu gefährden, andererseits einen eigenständigen und konsistenten Kurs gegenüber Pjöngjang zu fahren.
Bis vor wenigen Wochen konnte Präsident Moon in seinem Heimatland erstaunliche Umfragewerte von über 70 Prozent Zustimmung für sich verbuchen. Dass diese nun stark eingebrochen sind, hat nur wenig mit seiner Nordkoreapolitik zu tun: Seine Wirtschaftspolitik ist umstritten.
Der linke Politiker hat den Mindestlohn rasant erhöht. Er baute den öffentlichen Sektor aus, senkte die wöchentliche Arbeitsdauer auf 52 Stunden. Nicht jeder Südkoreaner ist jedoch über Moons Annäherungskurs gegenüber Nordkorea erfreut: Dass er Diktator Kim lächelnd umarmt, ihn nun sogar nach Seoul einlädt, ist insbesondere für die Konservativen ein Zeichen in die falsche Richtung.Fabian Kretschmer, Seoul
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