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Archiv-Artikel

das moderne glück trägt hostessenkluft von JOACHIM FRISCH

Glück muss der Mensch haben. Hat man je Dümmeres gehört? Vieles muss der Mensch, arbeiten, essen, sterben, atmen, aber Glück haben? Nichts dagegen, wenn einer Glück hat, im Lotto gewinnt oder einen fair bezahlten Job kriegt. Aber müssen?

Ich kam jedenfalls ganz gut ohne Glück aus, bis ich am Freitagmorgen den Anruf einer hörbar studiogebräunten Endzwanzigerin erhielt: „Sie haben Glück. Sie haben in unserem Preisausschreiben gewonnen. Dürfen wir ihnen morgen ihren Preis persönlich überreichen?“ Preisausschreiben? Mit zehn habe ich zum letzten Mal bei einem Preisausschreiben mitgemacht, beim Apothekenheftchen Junior, das sich beim Ausbreiten in ein Poster mit niedlichem Tierbaby verwandelte. Gewinn: ein lebendes Meerschweinchen. Ich stellte mir die in Hostessenkluft gezwängte Anruferin vor, die mir ein schrumpeliges, verwestes Etwas überreicht: „Das hat sich beim Renovieren in unserem Lager gefunden, es gehört ihnen, Sie hatten die Namen aller abgebildeten Singvögel richtig.“

Schön wär’s gewesen. Tatsächlich hätte ich die Fragen einer telefonischen Marketing-Umfrage beantwortet und sei deshalb aus der Lostrommel als glücklicher Gewinner gezogen worden. Das erklärt mir breit grinsend die Endzwanzigerin an der Tür und bittet sich gut gelaunt herein. Sie sieht aus, wie sie sich am Telefon angehört hat, und sie riecht passend dazu nach einer Mischung aus sämtlichen bei Douglas erhältlichen Duftwässern. Während sie sich an mir vorbeidrängt, zieht sie eine quietschbunte Mappe hervor und wirft sie auf den Tisch: Bilder wie aus dem Neckermann-Katalog, Fünfsternehotels des Grauens. Man kennt das, arglose Rentner werden unter dem Vorwand des Glücks beim Preisausschreiben während der Renovierungszeit in verwaiste Hotels gelockt und dort nach Strich und Faden ausgeplündert. So kommt das Glück heute daher, als fade Abzocknummer im Hostessenkostüm.

Sehe ich aus wie ein argloser Rentner? „Hier fahren Sie hin, auf unsere Kosten“, jubelt Yvonne, so hat sie sich inzwischen vorgestellt, und deutet mit einer schwungvollen Handbewegung auf das grässlichste der grässlichen Hotels, irgendwo in Apulien. Obwohl nicht im Bild, sehe ich die Baukräne, den Matsch und den Müll. „Ich hasse Italien“, brumme ich und bin überrascht, wie leicht mir diese Lüge fällt. Souverän überhört sie mein Gebrumm. „Ist das nicht toholl?“ – „Nein, das ist nicht toholl. Schenken Sie den Preis meinem Nachbarn, der ist Rentner, hat Zeit und mag Italien“, lüge ich schon wieder. Das kann sie nicht überhören, ihr Selbstbewusstsein aus der Spraydose fällt zusammen wie ein heißes Himbeersoufflé im Graupelschauer.

„Aber … – Sie haben gewonnen. Es ist umsonst. Sie zahlen nichts. Freuen Sie sich denn nicht?“ – „Ich hasse Glück“, knurre ich, „ich möchte mir meinen Urlaub ehrlich verdienen.“ Das war die dritte Lüge, draußen kräht ein Hahn (Das war die vierte). Das Lügen beginnt Spaß zu machen. „Kommen Sie auch mit“, frage ich schelmisch, „dann überleg ich mir das noch mal.“ Das genügt. Sie klingelt beim arglosen Nachbarn, der mir neulich zu einem nächtlichen Umtrunk im Garten ungebetene, uniformierte Gäste schickte. Ab nach Apulien mit ihm.