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das kölner ringfest feiert zehnjähriges JubiläumZwei Millionen Besucher können nicht irren: JENNI ZYLKA über Pop am Ring

Die bierselige Stiefschwester

Ob man in der Club Nokia Lounge auch mit einem Motorola-Handy telefonieren darf? Ob man auf die New-Yorker-Bühne auch in Orsay-Klamotten klettern kann? Und ob man vor der Evian-Stage auch Schnaps … na ja, Kölsch bestimmt. Wär ja gelacht bzw. kontraproduktiv, wenn die Ringfest-BesucherInnen nüchtern bleiben müssten.

Zum zehnten Mal besaufen sich nämlich wieder die Massen in Köln, ohne – wie stets im Februar – als Chinese oder BSE-Kuh verkleidet zu sein, und (fast) ohne in den Popkomm-Hallen mit kleinen Bierdöschen gesponsert zu werden: Das Ringfest feiert Jubiläum in der Kölner Innenstadt, mit erwarteten über 2 Millionen BesucherInnen, ein paar hundert Bands, DJs und Acts auf 3 Kilometer „Musikmeilen“-Asphalt. Und mit der Zeit scheinen die Grenzen zwischen dem Branchen-Mega-Luftkuss-Treffen Popkomm und der zeitgleichen, prolligen, bierseligen Stiefschwester Ringfest ein wenig zu einem riesigen battle of the moneymakers zu verschwimmen.

Natürlich, die KünstlerInnen, die sich auf die Umsonst-und-Draußen-Bühnen des Ringfests stellen, kommen eher aus der Bobo-Kategorie oder zumindest aus der Ex-PopKomm-Kategorie – in diesem Jahr treten außer den pseudocoolen Sportsfreunden Stiller nur Bravo-LeserInnen bekannte Popnudeln wie Ben & Gim, Möchtegern-Hardcorebands wie die Donots und Spaßbremsen wie Mirko Nontschew auf, dazu als Headliner die schrecklichen Prinzen und die Jazzkantine. Sie machen das Ringfest damit zum Kölner Karneval der Popmusik. Oder zur Love Parade 2002, im Gegensatz zur Love Parade 1989.

Trotzdem könnte man sich im bunten Reigen der Popevents leicht verirren: Tocotronic zum Beispiel spielen bei der Popkomm und sind ja nun eigentlich keine direkte heiße Newcomer-Band mehr, und wenn nicht immer noch heimlich dieses erstaunliche 80er-Jahre-Revival wirken würde, könnte man sich die Popkomm-Gäste Fehlfarben auch durchaus vor (oder nach) den Prinzen als Ringfest-Kandidaten vorstellen. Der Dancehall- und Raggamuffinspezi Gentleman läuft gleich durch beide Programmankündigungen und ist damit wahrscheinlich gleichzeitig Trend von gestern und von morgen. Schlau.

Das Ringfest bringt mit seinen Evian-, Nokia- und RTL-Bühnen jedenfalls sehr deutlich zum Ausdruck, was auf der Popkomm angerührt wird: die Vermarktung der Musik, die Vermischung zwischen Kommerz und Kunst, die Skrupellosigkeit beim Star-Erfinden, wenn es um Teenie-Portmonees geht. Natürlich auch die wichtige und schönste Seite der Branche: Schließlich handelt es sich um Musik, auch wenn man das Musikmachen Bands wie „Die 3. Generation“ am liebsten verbieten würde.

Das – je nach Gusto – Haupt- oder Rahmenprogramm, das, was bei der Popkomm der pädagogische und philosophische Ansatz ist, die Diskussionsforen und Vorträge, so überflüssig oder auch interessant sie sein mögen, mutiert beim Ringfest in einen Quarterpipe-Snowboard-Event – körperliche statt geistiger Anstrengung.

Der auffälligste Unterschied ist jedoch ganz klar formal: Was die Popkomm unter Dach und Fach bringt, findet beim Ringfest komplett draußen statt. Wenn es einen echten Sommer gäbe, wäre der idelae Ringfest-Besucher mallorcagebräunt, der Popkomm-Besucher bliebe in eleganter Nachtclubblässe.

Ringfest Köln: Fr. bis So., 18–22 Uhr

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