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Archiv-Artikel

das dunking und das wahre leben von JOACHIM SCHULZ

Als Jurek und ich beim Sonntagnachmittagstee sitzen und über einen artigen Zeitvertreib nachsinnen, wummern nebenan auf dem Schulhof zwei fünfzehnjährige Schlakse in Air-Jordan-Trikots ihr orangefarbenes Spielgerät gegen das Basketballbrett, und keine fünf Minuten später schlurfen wir zu ihnen aufs Feld, um diesen Jungs ein sportliches Fiasko zu bereiten, das sie ihr Lebtag nicht vergessen werden.

Bedauerlicherweise aber kommt es ganz anders, und so hocken wir kurz darauf mit roten, ballonartig aufgeblähten Glomsen und dem Atemstillstand nahe wieder neben unseren Teetassen, während unsere Gegner unten ihren Kantersieg feiern. „Wahrscheinlich das Alter“, schnauft Jurek: „Jetzt hat es uns!“ Fest steht, dass unsere Ballsportkarriere soeben unverhofft an ihr unrühmliches Ende gekommen ist. Was aber tun wir jetzt? Müssen wir den Rest unserer Tage damit verbringen, auf dem Sofa zu sitzen und darauf zu warten, dass endlich der Sensenmann an die Türe pocht?

Die Antwort lautet: Nein, das müssen wir nicht! Denn glücklicherweise haben die Bewohner mediterraner Küstenstriche schon vor Zeiten eine sportive Betätigung ersonnen, bei der alle biologischen Vorteile, die unsere jugendlichen Mitgeschöpfe gegenüber uns angegrauten Herrschaften besitzen, keine Rolle spielen – die Stärken hingegen, die der fortgeschrittene Alterungsprozess mit sich bringt, voll zum Tragen kommen. Die Rede ist vom Boulespiel. Um darin zu reüssieren, braucht man weder Kondition noch Sprungkraft, weder Muskeln, die die Konsistenz von Trampolinfedern besitzen, noch Lungen, mit deren Hilfe man locker einen Zeppelin aufblasen kann. Stattdessen ist es sehr von Nutzen, wenn man den Bronchialapparat über Jahre hinweg gründlich geteert hat. Erstaunlicherweise nämlich ist das Rauchen bei der Bouleausübung zwingend vorgeschrieben, und nur in Ausnahmefällen darf man zumindest die obligaten schwarzen französischen Kippen durch handelsübliche Filterzigaretten ersetzen. Unsere urgesunde Jugend jedoch scheint ja schon bei der genetischen Programmierung auf Nikotinverachtung festgelegt worden zu sein, und deshalb wird es ihnen natürlich schon nach einem Zug aus einer Light-Zigarette so schwindlig, dass sie die Kugeln nicht einmal mehr zwei Meter weit unfallfrei geradeaus werfen können.

Wir hingegen blühen durch die Verkonsumierung von Rauchwaren erst so richtig auf, und auch der unabdingbar mit dem Boulespiel verbundene Rotweinverzehr kann uns nicht wirklich stören. Unsere jungen Zeitgenossen bekommen demgegenüber schon vom ersten Schluck saures Aufstoßen. Spätestens nach dem dritten Glas dann treffen sie mit den Stahlgeschossen versehentlich parkende Autos, und deshalb ist es kein Wunder, dass sie sich eiligst wieder auf ihre Schulhöfe verkrümeln, um nach der Ausnüchterung erneut Basketbälle in Körbe zu donnern. Wir indes entkorken eine neue Flasche und trinken darauf, dass das wahre Leben glücklicherweise nichts mit einem gelungenen Dunking zu tun hat.