das ding, das kommt: Was von der Zivilisation übrig bleibt
Eigentlich möchte er nur ein bisschen im Watt spielen. Spielen, wie die Künstler es tun, denn Kunst, das weiß der pensionierte Lehrer – und Künstler – Andreas Petzold, kann das Klima nicht retten. Aber sie kann Gefahren aufzeigen und subtil auf Verhaltensänderung dringen.
Er selbst hat mit dem schlichten Müll-Aufräumen im Watt angefangen, auf Föhr, hatte immer einen Fotoapparat dabei und fing irgendwann an, das Gefundene zu fotografieren: Plastiktüten, Schnüre, Muscheln, Federn, Knochen, Tierkadaver. Vögel etwa, von Schnüren umwickelt, in denen sie sich verfingen und starben. Oder Plastikhandschuhe, die irgendwer in den Sand geworfen hat, als käme er gleich wieder.
Diese Hinterlassenschaften hat Petzold zu „maritimer Pop-Art“ zusammengefügt: mehr oder weniger abstrakten Mustern, bunt, magisch, wie geheimnisvolle Totems. Aber das waren sie nicht. Zerstörerisches und Zerstörtes kam da vielmehr zusammen, und diese Kombination hat Petzold erschüttert und fasziniert.
Seiner anfänglichen Strandkunst freilich drohte nach jeweils sechs Stunden die Flut und damit das Verschwinden und so hat er eben Fotos gemacht, diese im Atelier weiter ästhetisiert, perfektioniert. Herausgekommen sind Bilder, fast geeignet für Wohnzimmer oder Vorstandsetage. Und darin sieht Petzold die Raffinesse dieser Kunst, die seit ein paar Tagen online steht. Die Ausstellung heißt „Gefährliche Ästhetik“, und Petzold erwartet, „dass die Betrachter eben nicht in diese Falle tappen, sondern genauer hinschauen und begreifen, welche Dinge da eigentlich abgebildet sind, welchem Kontext sie entstammen“.
Dass das viel verlangt ist, dass die Botschaft nicht alle erreichen wird, weiß Petzold. Aber er steht zu seiner Idee und überhaupt zur Ambivalenz des Projekts. Denn die „Sea Side Galerie“, in der er auch, in Land-Art-Tradition, mit dem Besenstiel Figuren und Formen in den Schlick malt, ist auch mit Google Maps zu finden – mitten im Weltnaturerbe Wattenmeer. An diesen verletzlichen Ort aber will Petzold keine Touristen locken, und so steht dort eben keine physische Galerie – sondern nur gelegentlich ein zeichnender Künstler. Der Rest ist fern, virtuell, online für die Ewigkeit.
Damit will der Künstler erstens dokumentieren, was er tat. Zweitens soll das Publikum Muße haben, die Bilder genau zu betrachten. Denn das eigentliche Drama zu verstehen, das von all den natürlichen und künstlichen Materialien nur Knochen und Plastik überleben werden, quasi das Skelett unserer Zivilisation: Das braucht etwas Zeit. Petra Schellen
www.seasidegalerie.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen