piwik no script img

das ding, das kommtKein Ausweg aus dem Schuldkomplex

Ein auf den ersten Blick unscheinbares weißes Stück Seife hält man nach dem Einkauf in der Hand, darauf nur ein paar Worte: „Self. Human Soap“. Aber das eigentliche Produkt, das der Künstler und Theatermacher Julian Hetzel derzeit im Rahmen des Festivals „Theaterformen“ in einem eigens dafür eingerichteten Shop in der Braunschweiger Ladenzeile Burgpassage verkaufen lässt, ist nicht greifbar – und die Thematik, das gibt der heute in Amsterdam lebende Erfinder zu, auch tatsächlich „komplett unkontrollierbar“: In seiner „Schuldfabrik“ nämlich bietet Hetzel an, sich im doppelten Sinne von Schuld freizuwaschen. Der Erlös, behauptet er, komme einem Brunnenbauprojekt in der Demokratischen Republik Kongo zugute.

Kritik ruft dabei nicht nur der Ekelfaktor hervor: Die Seife, die dort in klinisch weißem Ambiente verkauft wird, werde aus Abfällen aus der Schönheitschirurgie hergestellt, behauptet Hetzel: aus menschlichem Fett also. Bei einer Führung durch die „Schuldfabrik“ zeigt Hetzel die Fettabsaugung und das Seifenherstellungslabor, bietet aber auch an, in einem Beichtstuhlzimmer Schuld im christlichen Sinne zu „teilen“.

Vor allem wurde aber im Anschluss an die Premiere des Projekts beim österreichischen Kunst-Festival Steierischer Herbst 2016 der Bezug auf die Experimente der Nationalsozialisten mit der Herstellung von Seife aus den Leichen der Opfer aus Konzentrationslagern diskutiert: Nach Zeugenaussagen bei den Nürnberger Prozessen wurden Leichen Ermordeter aus dem KZ Stutthof von dem Mediziner Rudolf Spanner zu Seife verarbeitet.

Tatsächlich ist sich Hetzel der Komplexität des heiklen Themas bewusst – der Umgang mit Schuld (und Schulden) sei eben problematisch. Das Projekt versuche, „die Idee von Schuld als Rohstoff pervers neoliberal weiterzudenken“, sagte er dem Sender ORF.

Vor allem will Hetzel also Diskussionen um Greenwashing, ethischen Handel, soziale Verantwortung von Unternehmen und Ego-Shopping aufgreifen und als zeitgenössischen Ablasshandel kritisierbar machen – und ganz schlicht zeigen, dass sich persönliche, religiöse, historische und ökonomische Schuld wie auch immer einfach nicht abwaschen lässt: Gereinigt und erleichtert jedenfalls kommt wohl keiner aus der „Schuldfabrik“, sondern beladen – nicht nur mit einem kleinen Stückchen Seife, sondern mit lauter heiklen Fragen. (matt)

„Schuldfabrik“: noch Sa/So, 16./17. 6., 15 bis 21 Uhr, Burgpassage Braunschweig. Führungen gibt es alle 20 Minuten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen