das darmstädter desaster oder: der brummende literaturpreis von REINHARD UMBACH :
Eines Tages lag auf dem Tisch des Dichters ein Flugblatt, in dem ein nicht genau benannter Bereich der Technischen Universität Darmstadt einen Literaturpreis auslobte, der den schönen Namen trug: „Arnold-Hau-Preis“. Da Arnold Hau aber ein Vorbild des Dichters war, packte er herzklopfend eine Handvoll Animalerotica in ein Briefkuvert und ging zur Post und vergaß den Vorgang auch schon wieder.
Monate später bekam der Dichter einen Brief, den er wegen seiner Dicke zunächst für amtliche Unterlagen hielt. Das Kuvert enthielt allerdings ein überaus üppiges Universitätsmagazin, in dem Beiträge zu einem Literaturwettbewerb abgedruckt waren. Schnell schlug der Dichter die Seiten mit den Siegern auf und entdeckte auf Platz eins die blasse Kopie eines Bildes, das ihn mit weißer Bäckermütze zeigte. Er sah aus wie der indische Führer Nehru, und der Dichter fragte sich, wie die Universität wohl in den Besitz dieses doch sehr privaten Fotos gekommen sei. Noch mehr fragte er sich allerdings, wie es geschehen konnte, dass er gesiegt hatte. Tatsächlich! Und das weit vor Günter Grass!
Gewonnen hatte der Dichter mit dem Zweizeiler: „Der Igel humpelt schwer verletzt – den Beischlaf zu hoch angesetzt“. Dieser Vers war dem Dichter recht gut gelungen, so dass er rundum zufrieden war über das Gedicht und den Preis, der dem Schreiben beilag: ein handgeschriebener Gutschein für eine kostenlose Übernachtung in der Darmstädter Wohngemeinschaft eines der Juroren. Da der Dichter kurz darauf in Darmstadt weilte, plante er den Gutschein dortselbst einzulösen, um anderntags zu einem Freund nach Freiburg durchzudüsen. Anstandshalber meldete sich der Dichter bei seinem Preisausgeber mit einer Postkarte an und erreichte schließlich nach einer schwierigen Anreise erschöpft die Adresse, in Erwartung eines angenehmen Lagers und angemessener Bewirtung.
Doch sollte es alles ganz anders kommen. Niemand kannte den Dichter, und niemand wollte von etwas von ihm wissen. Der Juror war schon lange ausgezogen, genauer: rausgeworfen worden von seinen Mitbewohnern. Nur die Älteren erinnerten sich vage noch an den Schurken.
„Dann leg dich halt hier unter den Tisch da!“, wurde dem Dichter beschieden. „Sonst tritt noch wer auf Dich, wenn nachts wer muss.“ Und so verbrachte der Dichter die Nacht geprügelter als die Katze auf dem heißen Blechdach. Auch Falladas Blechnapfroman passte gut, denn zu essen hatte er nichts bekommen, obwohl der Kühlschrank die ganze Nacht durch neben ihm brummte. Der Dichter wagte nicht, ihn zu plündern, nicht einmal das Katzennäpfchen.
Sobald es hell war, machte sich der Dichter aus dem Staube. Doch hatte Darmstadt ihm die Augen über den Literaturbetrieb geöffnet, besonders aber über die schnelle Vergänglichkeit des Ruhms im Umfeld zerbrechender Wohngemeinschaften. Ein Zweizeiler rauschte ihm durch den Kopf, den er abwandelte, damit der Vers seinen morgendlichen Gang perfekt beschrieb: „Das Lager nahm den Gast so mit, dass er zerquetscht zum Bahnhof schritt.“
Das Zugschild des „Hansa-Express“ aber, das der Dichter stahl, sollte ihn für alle Zeiten an das Darmstädter Desaster erinnern.