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das csd-tagebuchChou Chou de Briquette will kein Touristenmagnet sein und geht nicht zum CSD

Ein schwuler Bürgermeister nützt nichts

Demo, Dance oder Domäne des Kommerz? Was ist aus dem Christopher Street Day, der jährlichen Demo gegen Diskriminierung der Homosexuellen, geworden? Für die taz schreibt Chou Chou de Briquette, stadtbekannte Szenegröße und Mitorganisatorin der ersten Berliner CSDs, wie es sich anfühlt, wenn Protest immer mehr zur Party wird.

Stell dir vor, es ist CSD und keiner geht hin. Ich werde zumindest heute nicht zum Ku’damm-CSD gehen. Ich habe einfach keine Lust, zwischen den Sattelschleppern von Jakobs Krönung, verschiedener Kneipen und „Gay“-Magazine zu laufen, mich von bummerndem Techno-Getöse taub beschallen zu lassen und das Gefühl zu haben, auf der falschen Veranstaltung zu sein. Das ist inzwischen keine Demonstration mehr, sondern eine große Werbeveranstaltung. Mediengerecht vermarktet als „die schönste und bunteste“ Demo der Stadt. Von der „Friede, Freude, Eierkuchen“-Love-Parade zwar zahlenmäßig überrundet, aber doch eine feste Größe. Und nicht zu vergessen – ein Touristenmagnet und damit eine bedeutende Einnahmequelle für die Stadt. Letzteres ist wohl auch der Grund, warum sich Politiker des gesamten Parteienspektrums dort sehen lassen, und sogar Redebeiträge auf der Abschlusskundgebung halten wollen. Das kostet nichts, und man/frau nutzt die Gelegenheit, um sich tolerant zu geben. Es sind im Übrigen die gleichen Politiker, die Kürzungen bei lesbisch-schwulen Projekten nicht verhindern. Da nützt auch ein schwuler Bürgermeister nichts.

Mit der Kommerzialisierung des CSD wird die Veranstaltung auch unpolitischer. Das haben die Organisatoren zwar schon erkannt. Daher gibt es in diesem Jahr Vorgaben. Zum Beispiel, dass maximal ein Drittel der Flächen auf den Wagen für Werbung verwendet werden darf. Aber solche Forderungen sind halbherzig und gehen an der Tatsache vorbei, dass der Ku’damm-CSD längst von kommerziellen Projekten dominiert wird. Die kleineren lesbisch-schwulen Transgender-Projekte können mit den großen Wagen nicht mithalten, gehen in der Masse unter. Einige haben das schon vor Jahren erkannt und beteiligen sich deshalb nur noch am Kreuzberger CSD. Besonders wütend machen mich Vorkommnisse wie 1996. Damals ließen die Veranstalter mit Hilfe der Polizei einen Wagen entfernen, der ihnen nicht genehm war.

Lesben und Schwule gehen auf die Straße, um sich dann gegenseitig auszugrenzen! Das Geld, dass für dieses Riesenspektakel benötigt wird, fehlt an anderer Stelle. Bei „Kombi“ zum Beispiel, einem Projekt, das in Schulen über lesbisch-schwule Lebensweisen aufklärt, soll um 30.000 Euro gekürzt werden. Für solche Projekte ist es schwer, neue Geldquellen aufzutun oder Sponsoren zu finden. Die beteiligen sich lieber an den großen und damit werbeträchtigeren Events wie dem lesbisch-schwulen Straßenfest und dem CSD. Kleine Initiativen können sich nicht, wie der Ku’damm-CSD, einen eigenen Pressesprecher leisten, der ihrem Anliegen die nötige Öffentlichkeit verschafft. Die lesbisch-schwule Gemeinde wird nicht in der Lage sein, ihre erkämpfte Infrastruktur aufrechtzuerhalten, wenn öffentliche Gelder versiegen. Das finde ich bitter. Aber die Zusammenhänge werden von den Organisatoren ignoriert, sie halten weiter am Wachstum des CSD fest, als ob die Teilnehmerzahl etwas über die Lebensqualität der Stadt aussagen würde. Die Forderungen gehen im bunten Trubel unter. Mich kotzen Ankündigungen in den Hochglanzgazetten an, die Fotos von den „hammergeilsten CSDs der Republik“ versprechen. Für mich ist der CSD immer noch ein Kampftag. Die Aufstände 1969 in der Christopher Street in New York waren ein Widerstand gegen Repressionen. Ich will Veränderungen dieser Gesellschaft – dafür gehe ich auf die Straße! Und nicht für die Touristen, die alles so schön bunt finden sollen.

Beim Kreuzberger CSD wird auch gefeiert und getanzt. Aber in einer Form, die dem Anlass gerecht wird. Ach, übrigens, es gibt noch viele wichtige Anliegen, für die mensch auf die Straße gehen sollte: autofreie Straßen, billiger Wohnraum, Erhalt und Ausbau von innerstädtischen Grünflächen, menschenwürdige und gerecht bezahlte Arbeit, gegen Sozialabbau, für den Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr usw.

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