das wird: „Oft fehlt die emotionale Infrastruktur“
Gustavo Robles will in Bremen das Begehren nach sozialer Gerechtigkeit und Emanzipation wecken
Interview Jonas Kähler
taz: Ihr Buch heißt „Beyond Molotov“. Bedeutet das, im Widerstand gegen den Autoritarismus die Militanz aufzugeben?
Gustavon Robles: Es gibt viele Strategien gegen Autoritarismus, rechtspopulistische Bewegungen und Formen von Illiberalismus oder Neoliberalismus. Der Buchtitel soll sie nicht leugnen, sondern ergänzen. Wir haben uns auf spezifische Strategien konzentriert, die manchmal übersehen werden: Solche, die sich auf Emotionalität, Sensibilität und die ästhetische Dimension des Kampfes beziehen. Auf die emotionale Infrastruktur des Widerstandes. Das soll den Fokus auf Aspekte lenken, die nicht unbedingt am effektivsten sind, aber dennoch essenziell.
taz: Wie können solche Strategien aussehen?
Robles: Ein für mich eindrückliches Beispiel aus dem Buch ist die Arbeit der Künstlerin Aylin Kuryel aus der Türkei, die Träume von Menschen gesammelt und sie in öffentlichen Räumen präsentiert hat. In einem repressiven und zensierten Umfeld hat sie so Unbewusstes in die Öffentlichkeit gebracht. Ein anderes Beispiel ist die Verwendung von Farben im Aktivismus, etwa die grünen Tücher der feministischen Bewegung in Argentinien.
taz: In dem Buch sagen Sie, dass sie das Feld der Affektpolitik nicht den Autoritären überlassen wollen. Was bedeutet das?
Gustavo Robles
Jahrgang 1977, Philosoph, Dissertation über Adorno, arbeitet an der Uni Passau.
Robles: Wir können Autoritarismus nicht auf einen Mangel an Rechtsstaatlichkeit oder auf die Beschreibung exotischer Anführer wie Trump, Bolsonaro, Milei oder Erdoğan reduzieren. Autoritäre Tendenzen und die Wiederbelebung des Neoliberalismus nutzen Emotionen gezielt. Er kanalisiert Ängste, Unsicherheiten, Ressentiments und sogar positive Gefühle wie Bindung oder Begeisterung. Gegenstrategien zu entwickeln bedeutet, dass auch die Linke auf dieser Ebene des Kampfes aktiv werden muss.
taz: Welchen Vorteil bieten derartige Gegenstrategien?
Robles: Ein Vorteil besteht darin, dass sie die Ideen von sozialer Gerechtigkeit und Emanzipation erneuern können. Sie zeigen damit, dass sie nicht überholt sind. Diese Ideen brauchen eine emotionale Grundlage, die in der öffentlichen Debatte oft keine Stimme findet, sich aber in Kunst oder ästhetischen Interventionen zeigt. Wenn wir Utopien verstehen wollen, dürfen wir uns nicht nur auf Symbole, Diskurse oder Philosophien beschränken. Wir müssen uns auch mit der Ebene von Emotionen und affektiven Verbindungen beschäftigen, die den Kampf prägen.
taz: Gibt es denn überhaupt genug Utopien oder fehlen der Linken Visionen einer besseren Welt?
Buchvorstellung „Beyond Molotovs“, 28. 11., 19 Uhr, Kukoon, Bremen
Robles: Utopien existieren – sei es in Kurdistan oder bei den Zapatistas, im Feminismus oder in neueren Sozialtheorien wie dem Post-Humanismus. Es bestehen durchaus Utopien einer anderen, besseren Welt. Doch oft fehlt die emotionale Infrastruktur, um diese Utopien in politische Bewegungen zu übersetzen. Es fehlen nicht Visionen, sondern die Fähigkeit, das Begehren der Menschen für sie zu wecken.
taz: Die autoritäre Rechte ist global auf dem Vormarsch, ohne Lösungen anzubieten, die das Leben aller verbessern könnten. Wieso schafft es die Linke nicht, mit Ihren Visionen zu überzeugen?
Robles: Im Zeitalter der Fake News überzeugen nicht nur Logik oder empirische Daten, sondern der Wunsch, an ein Argument zu glauben. Emanzipation und soziale Gerechtigkeit müssen auch das Begehren ansprechen. Dieser emotionale Aspekt spielt eine zentrale Rolle, um Wünsche für eine gerechtere Welt zu wecken und Utopien neu zu aktivieren.
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