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crime sceneFrecher Flötist verhökert fremde Federn

Das Merkwürdigste an dieser Geschichte ist vielleicht, dass sie wahr ist. Im Jahr 2011 gab es einen spektakulären Museumsraub, der monatelang unentdeckt blieb. Aus dem Museum im kleinen britischen Ort Tring, einer Außenstelle des Londoner Natural History Museum, waren 299 Vogelpräparate verschwunden, exotische Arten, die teils großen wissenschaftlichen Wert besaßen. Viele historische Exemplare waren darunter, einige stammten noch vom berühmten Naturforscher Alfred Russel Wallace persönlich.

Dass die Vögel einen erheblichen finanziellen Wert besaßen, wenngleich in einer reichlich speziellen Marktnische, war vorher wohl niemandem bewusst gewesen. Als man den Dieb Monate später fand, hatte dieser einen Großteil seiner Beute bereits veräußert – an Mitglieder der internationalen Szene der Lachsfliegenbinder, einer verschworenen, rein männlichen Subkultur, die in jüngster Zeit ein altes kolonialistisches Hobby wiederbelebt hat: das Binden von insektenähnlichen Ködern zum Fliegenfischen aus farbenfrohen, möglichst exotischen Federn.

Zu viktorianischen Zeiten waren die Damen besessen davon, bunte tote Vögel auf ihren Hüten zur Schau zu stellen. Das modische Pendant für Herren waren die schillernden Federn, mit denen sie ihre Lachsfliegen herstellten. Der absurd hohe Federnverbrauch der europäischen Zivilisation sorgte im 19. Jahrhundert für eine drastische Dezimierung des Vogelbestands in den Kolonien.

Das Fliegenbinden hat heute nur noch eine lose Verbindung zum Fliegenfischen. Auch die Brüder Edwin und Anton Rist, die als Kinder der Faszination der bunt schillernden Lachsfliegen erlagen und bald zu Stars der Szene wurden, waren keine Angler. Dass der Amerikaner Edwin Rist – damals hochbegabter Musikstudent, heute professioneller Flötist – im Alter von 22 Jahren das Museum in Tring ausraubte, lässt sich mit der fast irrationalen Leidenschaft erklären, mit der viele Fliegenbinder ihr Hobby ausleben.

Doch war es wohl eher die Aussicht auf das Geschäft mit der Leidenschaft der anderen, was Rists Verbrechen motivierte. Diese Lesart legt Kirk Wallace Johnsons Buch „Der Federndieb“ nahe. Der Autor lässt auch kaum Zweifel daran, dass er von dem psychologischen Gutachten, das Rist eine Asperger-Erkrankung bescheinigte und ihm so das Gefängnis ersparte, wenig hält.

Johnson, selbst passionierter Fliegenfischer (aber kein Binder), hörte die Geschichte vom Federnraub von seinem Angelguide. Warum ihn das so faszinierte, kann er weder sich noch uns erklären, doch klar ist: Er hat den Fall mindestens ebenso fanatisch recherchiert, wie die Fliegenbinder nach seltenen Federn suchen. Zudem setzte er sich zum Ziel, im Lauf der Recherche die noch fehlenden Vögel für das Museum zu finden – denn obwohl etliche Käufer nach Rists Festnahme ihre Vögel zurückgaben, schienen viele wertvolle Bälge spurlos verschwunden zu bleiben.

Tatsächlich erreicht Johnson mit seiner Hartnäckigkeit einiges. Die Früchte seiner Recherchen breitet er opulent vor uns aus – und fängt im 18. Jahrhundert beim Leben des Alfred Russel Wallace an, dem große Verdienste um die Evolutionsforschung zukamen, der aber im Schatten des bekannteren Darwin stand.

Das alles – Wallace’ unbeirrbarer Forscherdrang, die Kolonisierung der neuentdeckten, fremden Natur, der Irrsinn der viktorianischen Federmode und was ihre Abschaffung mit der Frauenbewegung zu tun hatte – und noch mehr kulminiert in Rists Museumsraub. Und gäbe es das Internet, vor allem Ebay, nicht, so wäre das Geschäft mit ausgestopften Tropenvögeln nicht urplötzlich wiederbelebt worden und hätte damit die Gier nach bunten Federn nicht neu angefacht. Das seltsame, ausgestorbene Hobby des Lachsfliegenbindens zu reinen Schauzwecken wäre niemals so munter wiederauferstanden. Und in Tring hätte man immer noch alle Vögel in den Schubladen.

Nein, dies ist kein Krimi. Sondern etwas viel Besseres: ein glänzend geschriebener Beweis dafür, dass es nichts gibt, was es nicht doch geben könnte. Katharina Granzin

Kirk Wallace Johnson: „Der Federndieb“. A. d. Eng. v. J. Schwarzer. Droemer, München 2018, 384 Seiten, 22,99 Euro

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