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crime sceneDer Ich-Erzähler in der Todeszelle

Im Kopf eines ausgedachten Mörders zu sitzen, ist für heutige KrimileserInnen ja quasi Routine. Ob man’s mag, ist die eine Sache, ob’s gut gemacht ist, eine andere.

Der amerikanische Autor Les Edgerton, der über einen ausgesprochen bunten Lebenslauf verfügt und unter anderem mehrere Jahre wegen Diebstahls im Gefängnis saß, erzählt in „Der Vergewaltiger“ einen ganzen Roman lang aus der Perspektive des Verbrechers. Und hier lässt sich das nicht nur aushalten, sondern ist sogar ziemlich unterhaltsam. Denn der Täter ist der Erzähler. Das Verbrechen liegt hinter ihm, seine Hinrichtung steht unmittelbar bevor. Im Todestrakt rekapituliert er seine Untat; uneinsichtig, egoman, kaltherzig: Truman Ferris Pinter ist wegen Vergewaltigung und Mordes an einer jungen Frau zum Tode verurteilt worden. Die Vergewaltigung gibt er zu, rechtfertigt sie jedoch mit dem Benehmen des Opfers. Den Mordvorwurf weist er zurück.

Truman ist eloquent, gebildet, wohlhabend. Er hat einen Abschluss aus Princeton und verfügt über Geld. Er kann sehr überzeugend erzählen. Seine Bereitschaft, sich zu der Vergewaltigung zu bekennen und einen ultimativen Kontrollverlust zuzugeben, wirkt authentisch. Widerlich mag dieser Erzähler sein, aber dennoch ist man sehr bald geneigt, ihm zu glauben. Vielleicht war es wirklich so, wie er behauptet, und der Tod der Frau war ein Unfall?

Als Kind konnte er fliegen

Das war aber nur die erste Runde. Les Edgerton baut seinen Erzähler schichtenweise auf. Unzuverlässig ist Truman – der nicht umsonst so heißt – nicht deswegen, weil er unehrlich wäre. Im weiteren Verlauf des Romans aber öffnet sich gleichsam im Hintergrund ein dunkler Schlund des Undenkbaren. Der Ich-Erzähler, erkennt man nach und nach, ist ein schwarzer Meister der Verdrängung. Eine unnatürlich übersteigerte Selbstwahrnehmung korrespondiert mit wahnhafter Wirklichkeitsverleugnung. Truman ist fest davon überzeugt, allein durch die Kraft seiner Gedanken fliegen zu können, beziehungsweise: es als Kind gekonnt zu haben. Seltsamerweise habe er diese Gabe im Alter von elf Jahren verloren. Erst jetzt, im Angesicht des bevorstehenden Todes, beginnt er sie wieder zu trainieren. Er plant vor seiner geplanten Hinrichtung eine spektakuläre Aktion. Doch als es so weit ist, führt der Gedankenflug ihn in eine ungeahnt blutige Version seiner familiären Vergangenheit, die von irgendwo ganz weit unten an die Oberfläche von Trumans Bewusstsein gestiegen ist …

Les Edgerton: „Der Vergewaltiger“. Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller. Pulp Master, Berlin 2017, 158 S., 12,80 Euro

Edgerton geht es nicht um ein Psychogramm eines Gewaltverbrechers, oder jedenfalls nicht in erster Linie. Das Interessante an diesem Roman ist die Verquickung einer psychischen Extremlage mit den literarischen Möglichkeiten eines unzuverlässigen Erzählers. Die eigentliche Frage ist, was mit ihm nicht stimmt. Edgertons Rollenprosa geht dabei über ein cool-intelligentes Erzählspiel hinaus. Denn so extrem seine Geschichte sein mag, so gebannt folgt man doch diesem merkwürdigen Erzähler, dessen Allmachtsgebaren so abstoßend ist wie seine emotionale Vernachlässigung mitleiderregend. Auf seine ganz eigene Weise wirkt er dabei ziemlich echt. Katharina Granzin

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