chefgeneral entlassen: Marschall Scharping
Rudolf Scharping räumt auf: Zuerst macht er sich nicht die Mühe, sein ablehnendes Urteil über die Vorschläge der Weizsäcker-Kommission zu kaschieren. Und jetzt will er den bis zur Selbstverleugnung loyalen Generalinspekteur Peter von Kirchbach durch Harald E. Kujat ersetzen lassen. Der steht im Unterschied zu seinem blassen Vorgänger im Rufe eines „Machers“. Kann sein, dass Kujats Ernennung die einzige echte Schlussfolgerung aus dem Bericht der Weizsäcker-Kommission ist. Die vom Altbundespräsidenten ausgesprochene Warnung vor übereilten Schnellschüssen ignorierte Scharping jedenfalls und präsentierte bereits gestern seine eigenen Vorstellungen im Kabinett.
Bis dahin hatte sich der Minister monatelang jeglicher Diskussion über die Zukunft der Bundeswehr entzogen, da er den Empfehlungen der Kommission nicht vorgreifen wollte. Erst als sich Indizien verstärkten, dass die Kommissionsvorschläge radikaler ausfallen würden, als von Scharping erwartet, markierte er „unverhandelbare“ Grundpositionen – bei der Wehrpflicht oder den Verteidigungsausgaben. Das Motiv war durchsichtig: den Spielraum von Reformen vorsorglich eingrenzen und die Mitglieder der Kommission unter Druck setzen. Als dies nichts fruchtete, wurde der Öffentlichkeit kurzerhand noch vor der Übergabe des Kommissionsberichts ein Vorschlag präsentiert, der sich stark an einem im Ministerium erarbeiteten Eckwertepapier der militärischen Führung orientierte. Ohne auch nur eine einzige erkennbare Änderung auf Grund des Weizsäcker-Berichtes wurde dieser Vorschlag dem Kabinett als „Schlussfolgerung“ zur Beschlussfassung unterbreitet. Nicht einmal für Taschenspielertricks (die angekündigte Verringerung der Bundeswehr um 100.000 Mann schließt mehrheitlich Zivilbeschäftigte ein) war man sich zu schade, um radikalen Reduzierungswillen vorzutäuschen.
Richard von Weizsäcker hatte völlig Recht, als er mahnte, dass eine grundlegende Reform viel Zeit braucht. Sie darf nicht parteipolitischem Kalkül untergeordnet werden, sonst ist sie zum Scheitern verurteilt. Eine tief greifende Umstrukturierung der Verteidigung bedarf zudem der breiten Zustimmung in der Gesellschaft. Wer glaubt, den Konsens nicht erst suchen zu müssen, riskiert die große Unterstützung, welcher sich die Bundeswehr in unserer Gesellschaft erfreut. Wer annimmt, dem gebotenen politischen Diskurs aus Furcht vor Widerspruch ausweichen zu müssen, fügt der Demokratie unweigerlich nachhaltigen Schaden zu.
HANS-JOACHIM GIESMANN
Mitarbeiter am Hamburger Institut fürFriedensforschung
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