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chatami im dilemmaIM IRAN DROHT EIN PUTSCH

Irans Präsident Chatami schweigt. Obwohl in diesen Tagen fast alle reformorientierten Zeitungen der Islamischen Republik geschlossen wurden; obwohl die Teilnehmer einer Berliner Konferenz über den Reformprozess im Iran verhaftet wurden oder noch per Haftbefehl im Ausland gesucht werden.

Damit enttäuscht Chatami seine Anhänger, die ein deutliches Machtwort von ihm erwarten. Vor drei Jahren überraschend gewählt, verkörperte der Präsident einst die Hoffnung der Bevölkerung auf liberalere Verhältnisse. Doch jetzt hält sich Mohammad Chatami dezent zurück – wie meistens, wenn es brenzlig wird. Im Iran droht ein Putsch der Konservativen – und der einstige Frontmann der Reformer ruft allenfalls sehr verhalten zur Ruhe auf.

Es mag am Charakter des Regierungschefs liegen, dass er eher zum Schlichten neigt. Schon einmal trat Chatami als Minister für Kultur und Religiöse Führung zurück, weil der Druck seiner konservativen Gegner zu stark wurde. Und auch heute sind die Verhältnisse im Iran nicht geeignet für eine neue Revolution. Denn die eigentlichen Machtzentren des Landes sind immer noch konservativ besetzt – wie etwa das Amt des Religiösen Führers, des mächtigsten Mannes im Staat.

Die Bilanz der bisherigen Wahlperiode von Chatami ist entsprechend zwiespältig: Einerseits haben die kleinen Freiheiten zugenommen. Auf Teherans Straßen kontrollieren Revolutionswächter nicht mehr, ob der Schador der Frauen hundertprozentig sitzt. Und welche Musik hinter verschlossenen Türen aus dem Kassettenrekorder dringt, ist kaum noch Thema. Aber in den entscheidenden Bereichen ist Chatami nicht weitergekommen: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit oder schlicht Demokratie.

Doch spätestens seit den Parlamentswahlen im Februar, die mit einem Erdrutschsieg der Reformer endeten, hat Chatami ein zweites Mal den Auftrag erhalten, Iran grundlegend zu verändern. Dass er trotzdem beharrlich schweigt, zeigt sein Dilemma: Viele seiner WählerInnen wollen eigentlich mehr, als der Präsident ihnen je versprach. Ein bisschen Freiheit ist ihnen einfach nicht genug. Chatami hat nur zwei Optionen: entweder sich den Konservativen engegenstellen oder zurücktreten. Von dieser Entscheidung könnte abhängen, ob und in welcher Form die Islamische Republik weiterbesteht.

THOMAS DREGER

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