cannescannes: Nie nahm Godard seinen Antiamerikanismus mehr auf die Schippe
Steven Spielbergs Tristan und Isolde
„Muss man diesen wunderbar ästhetisch aufgenommen elektrischen Stuhl beklatschen?“, fragt Libération böse in einer winzigen Randspalte zum neuen Film der Coen-Brüder. Gut, „The man who wasn't there“ ist eine etwas leere Fingerübung in Sachen Film noir, ein lethargischer Schwarzweiß-Thriller über Ehebruch und Totschlag. Billy BobThornton, an dessen Silhouette die 50er-Jahre-Anzüge wunderbar aussehen, spielt einen wortkargen, kettenrauchenden Friseur, der in ein Verbrechen hineinschlittert. Die postmodernistische Ironie der Coens bleibt diesmal leider in den Haartollen stecken, die als einsame Zeichen so etwas wie Zeitkolorit erzeugen.
Aber muss dieses eher harmlose Stück gleich den „unaufhaltsamen Verfall einer Inspiration“ bedeuten, „statisch, maschinell, erstickend“? So gnadenlos die französische Kritik jede kleine Schwäche eines ausländischen Films unter dem Elektronenmikroskop durchleuchtet, so unkritisch verehrt sie die Götzen aus dem eigenen Land. Da wird Claude Lanzmann – by all due respect – zum „größten Cineasten unserer Zeit“, während Emanuelle Béart schon immer „die schmerzvolle Tragödin vom Format der Callas“ war und Michel Piccoli „der König der Könige“. Für Godard hätte man vor 3.000 Jahren in Frankreich wahrscheinlich ganze Tempelanlagen errichtet, selbst ganz vernünftige Zeitungen legen nur die devotesten Interviewfragen vor den Altar des Meisters. Synopsis zum Beispiel, das Magazin für Drehbuchautoren, druckt einige Zeilen aus dem Script von Godards neuem Film „Eloge de l'amour“ ab, um dem Lesern „die Singularität und Tiefe des Godard’schen Wortes spürbar zu machen“.
Angesichts des Hypes um den Siebzigjährigen wirkt der festivalinterne Umgang mit „Eloge de l'amour“ wie eine sadistische Spitze. Der internationalen Presse Godards Wettbewerbsfilm nur ein einziges Mal in einem Kino mit 200 Plätzen zu zeigen, ist so, als ob man Schalke gegen Bayern auf einem popeligen Bolzplatz spielen ließe. Nur das erste abgekämpfte Drittel von mindestens 600 platt gedrückten Flundern schaffte es ins Kino. Dabei ist „Eloge de l'amour“ der schönste und selbstironischste Godard-Film seit langem.
Eine musikalischer Diskurs über Politik und Widerstand, über das Kino und die Voraussetzungen des Filmemachens. Wieder gibt es keine Figuren, sondern Menschen, an die sich bestimmte Fragen und Literaturzitate anlagern. Unter anderem ein Mann, auf der Suche nach einem „Projekt“, das mal eine Kantate für Simone Weil ist, mal ein Film, mal ein Roman, mal ein Theaterstück. Bei Godard ist der Ton so klar, dass man beim Klavier den Anschlag hört, und das Schwarzweiß der ersten Hälfte war wie eine Erholung nach den „atemberaubend beschissenen Bildern“ (ein Kollege) von Sean Penns Thriller „The Pledge“, der kurz davor zu sehen war. „Eloge de L'amour“ ist auch eine Art Abgesang auf alles, was Godard teuer ist: Bresson, John Ford, Bergson, das Bild als philosophische und wahrnehmungsphysiologische Größe, Widerstand als moralische und ästhetische Frage. Dabei hat Godard seinen eigenen Antiamerikanismus noch nie so unverholen auf die Schippe genommen. Es ist von einem angeblichen neuen Spielberg-Film die Rede, „Tristan und Isolde“, eine Liebesgeschichte aus der Résistance mit Juliette Binoche in der Hauptrolle. Während des Gesprächs klingeln Kinder in tradionellen Trachten an der Haustür, die Geld sammeln für eine bretonische Untertitelung von „Matrix“. KATJA NICODEMUS
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