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cannes cannesDas Leuchten heller Körper

In dem neuen Film von Gus Van Sant bewegt sich die Kamera wie ein Skateboard, auf- und abfedernd in der Halfpipe

In der Nacht von Sonntag auf Montag findet die Party zum 60. Geburtstag des Filmfestivals von Cannes statt. Um Mitternacht zünden über der Bucht die Feuerwerkskörper, abgeschossen von Booten und Plattformen im Wasser. Ich komme gerade aus „Zoo“, einer in der Quinzaine des Réalisateurs gezeigten Dokumentation über eine Gruppe von Männern im US-Bundesstaat Washington, die Pferde lieben. Das heißt: körperlich lieben. Einer von ihnen starb an inneren Blutungen, nachdem er Sex mit einem Hengst hatte; der Regisseur Robinson Devor nimmt den fait divers zum Anlass, eine impressionistische, die Sensationslust umgehende Spurensuche zu unternehmen; und „Zoo“, das Resultat, stellt einiges an Gewissheiten in Frage: Was sind Menschen, was sind Tiere, was wollen jene, und sind diese überhaupt in der Lage, etwas zu wollen? Ist es tatsächlich möglich, dass sich das Wollen der einen mit den Instinkten der anderen verbinden lässt?

Einigermaßen verstört also schaue ich zu, wie die Pyrotechniker ihr Spektakel inszenieren. Es ist prächtiger als alle Feuerwerke, die ich je gesehen habe. Die Lichtpunkte rieseln bald kupferfarben, bald bilden sie silberne, sich windende Schnecken, bald regnen sie golden ins Meer, bald werden sie von den kleinen Booten aus hin- und hergeschleudert, und manchmal blitzen sie wie in Zeitlupe als rote oder blaue Punkte auf. Mit der Zeit bildet sich eine Wolke, sie verschluckt Teile des Lichtspiels und reflektiert den Schein der Explosionen, sodass der Nachthimmel für Sekunden wie ein heller Körper leuchtet.

So glamourös das Feuerwerk, so herausragend war das Wettbewerbsprogramm vom Montag. Mit Gus Van Sants „Paranoid Park“ und Ulrich Seidls „Import Export“ erlebten zwei besondere Filme ihre Premiere. „Paranoid Park“ teilt mit den Vorgängerfilmen „Elephant“ und „Last Days“ einiges: die jugendlichen Protagonisten – diesmal sind es Skater –, die Zeitschleifen, das Driften zwischen teenage angst, Leere, Banalität und existenziellen Situationen, die elaborierte Tonspur, die, wo sie vom Bild abgekoppelt wird, ein Flirren erzeugt – etwa wenn sich Alex (Gabe Nevins) von seiner Freundin trennt –, und die kontrapunktisch gesetzte, fröhliche Musik fast all ihre Vorwürfe übertönt. Alex, schält sich nach und nach heraus, hat, ohne es zu wollen, den Tod eines Sicherheitsmannes zu verantworten. Oft folgt die Kamera den Skatern, manchmal bewegt sie sich selbst wie ein Skateboard, auf- und abwiegend in der Halfpipe, in pendelnder Bewegung und zugleich nach vorne fahrend in einem Tunnel.

All das verleiht Van Sants Film eine eigene Logik, sodass sich der Tod des Sicherheitsmannes und die Gewissensbisse des Jugendlichen nicht in Plot und Psychologie, sondern in Atmosphäre verwandeln. An einer Stelle wird diese Atmosphäre jäh unterbrochen; die Projektion stoppt wegen eines „incident technique“, das Licht im Grand Théâtre Lumière geht an, und mein Nachbar schimpft sehr schlecht gelaunt: „Ha, das haben sie in 60 Jahren nicht gelernt!“

Der zweite Film, „Import Export“ von Ulrich Seidl, bringt Laiendarsteller und professionelle Schauspieler zusammen, auch verbindet er inszenierte und wirkliche Situationen; die Schauplätze – etwa eine geriatrische Klinik in Wien – sind echt, die Bilder präzis kadriert, in sich symmetrisch strukturiert, man merkt an der Wahl des Ausschnitts, wie wichtig es Seidl ist, die Figuren in der Interaktion mit ihrer jeweiligen Umgebung zu zeigen. Im Mittelpunkt von „Import Export“ steht Olga, eine junge Krankenschwester aus der Ukraine (Ekateryna Rak), deren Weg sie aus der postkommunistischen Tristesse zu einer Putzstelle in der Wiener Klinik führt; parallel dazu geht es um Paul, einen jungen Wiener (Paul Hofmann), der sein Glück als Sicherheitsmann versucht, scheitert und später mit seinem Stiefvater Kaugummiautomaten in der Slowakei und der Ukraine wartet.

Seidls Interesse gilt dabei konsequent jenen Seiten der menschlichen Existenz, mit denen sich zu befassen Überwindung kostet: der Demenz der Alten, der Allgegenwärtigkeit von Ausbeutungsverhältnissen, der Lust an der Demütigung. Legte er in den vorangegangenen Filmen noch eine gewisse Unbarmherzigkeit an den Tag, so glaubt man ihm diesmal, was er schon früher für sich beanspruchte: dass er voller Zärtlichkeit und Liebe für seine Protagonisten ist.

CRISTINA NORD

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