cannes, cannes: Reduzierung auf den Look oder Die Croisette braucht einen feministischen Aufklärungsstand
SEHNSUCHT NACH DORIS DAYS HANDFESTER HAUSFRAUENSPIESSIGKEIT
In Cannes könnten Alice Schwarzer & Schwestern in diesem Jahr glatt einen feministischen Aufklärungsstand vor dem Betonbunker des Festivalpalastes einrichten. Wer weiß, vielleicht gibt es sogar eine unterirdische Verbindung zwischen dem internationalen Trend zum Kostümfilm und einem Frauenbild, das ungefähr hundert Jahre hinter dem liegt, was man inzwischen glaubte auf der Leinwand für Standard halten zu dürfen.
Im letzten Film von Pedro Almodóvar hatte die spanische Schauspielerin Penélope Cruz eine Ordensschwester gespielt, die ein Verhältnis mit einemTransvestiten hat. In der 20th-Century-Fox-Produktion der Regisseurin Fina Torres ist sie jetzt das allzeit tief dekolletierte Superweib Isabella. Die verlässt ihren untreuen Mann und macht in den Staaten als Fernsehköchin mit der Sendung „Passion Food“ Karriere. Gut, wer sich einen Film ansieht, der „Woman on Top – Gewürze, Sex und Samba“ heißt, ist vielleicht selbst schuld. Aber muss man deshalb gleich auf ein Happy End gefasst sein, bei dem der unablässig seine Brustbehaarung ausstellende Machogatte die auf emanzipierten Abwegen wandelnde Frau mit schmalzigen Samba-Songs wieder zurück an den heimischen Herd holt? Für Penélope Cruz, die in Cannes mit mehreren amerikanischen Produktionen vertreten ist, bedeutet der Sprung zur internationalen Karriere offensichtlich die reine Reduzierung auf den Look.
Auch Rodrigo García, Sohn des Schriftstellers Gabriel García Márquez, fühlt sich berufen, dem Kino die Frau des angehenden 21. Jahrhunderts zu erklären. In seinem Episodenfilm, der bezeichnenderweise auch noch „Things You Can Tell Just by Looking at Her“ heißt, fährt er für sein Regiedebüt gleich das ganz große Casting auf: Unter anderem Glenn Close, Holly Hunter und Cameron Diaz.
Die Schauspielerinnen spielen unglückliche Ärztinnen, verbitterte Bankdirektorinnen und andere frustrierte Geschöpfe der Moderne; Frauen, denen ganz offensichtlich Mann, Familie und somit die nötige Bodenhaftung fehlt. Unglücklich sind diese Heldinnen in erster Linie, weil sie Karriere gemacht haben oder für andere Formen des Selbstbewusstseins bestraft werden müssen: erfolgreich, aber einsam, lesbisch, aber krebskrank, schlagfertig, aber blind.
Und im Wettbewerbsfilm „Nurse Betty“ spielt Renée Zellweger (siehe Foto), neues Lichtchen am Starfirmament, eine Frau, deren Intelligenzquotient selbst unter dem für Hollywood-Satiren noch erträglichen Maß liegt. Weil sie sich in die männliche Hauptfigur einer Arztserie verliebt hat, durchquert Betty ganz Amerika, um den Angebeteten in seiner Klinik zu finden. In Los Angeles hat sie die sensationelle Erkenntnis, dass es da doch irgendeinen Unterschied zwischen Fernsehen und Wirklichkeit geben muss. Neil Labutes Komödie ironisiert zwar alles, was die amerikanische Pop-Serien- und Trash-Kultur ausmacht, nur leider nicht die Doofheit seiner weiblichen Hauptfigur. Doris Day, deren Song „Qué sera“ hier ausgiebig herhalten muss, ist die klare Referenz des ständig süß dreinschauenden Blondchens, und tatsächlich sehnt man sich angesichts dieser neuen Ausformungen weiblicher Naivität nach ihrer immerhin noch handfesten Hausfrauenspießigkeit zurück.
Zwischen all den Weibchen, die da über die Leinwand flattern und stöckeln, besinnt sich Liv Ullman dann auf den klassischen Typus der in bürgerlichen Konventionen erstickenden Ehefrau zurück. Ihr Film „Treulösa“ nach einem Drehbuch von Ingmar Bergman erzählt die Geschichte einer Dirigentengattin, die ihren Mann mit einem gemeinsamen Freund betrügt und daran fast zerbricht. Gediegen ausgeleuchtete Filmtableaus stellen Bilder vom perfekten Familienleben gegen die der Leidenschaft (heißt: roter Samt im Pariser Hotelzimmer). Im Vorspann warnt ein Botho-Strauß-Zitat vor den tief greifenden Auswirkungen einer eheliche Scheidung auf Bewusstsein und Unterbewusstsein. Wo sind wir hier eigentlich?
KATJA NICODEMUS
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