bücher für randgruppen: Neue Einblicke in die Elfenforschung
Zwerge in der Moderne
„Das Reine und Klare gibt uns Sicherheit – der Rest ist von Elfen bevölkert.“ Gilles Clément
Mehr als sechzig Jahre ihres Lebens widmete die Britin Marjorie Johnson als Generalsekretärin der Elfenforschungsgesellschaft dem Studium der feinstofflichen Naturgeister, die wir unter dem Begriff Elfen, Zwerge und Feen kennen. Wahrscheinlich war das nur in einem Land wie England möglich, meint der Aquamarin Verlag, der der 94-jährigen Forscherin in glockenblumenblauem Taschenbucheinband satte 347 Seiten zur Verfügung stellt, um gesammelte Erfahrungsberichte aus aller Welt zu dokumentieren. Nein, die Elfenforschung ist beileibe keine englische Angelegenheit. Auch Irland, Island, Norwegen und Schweden sind Eldorados für ElfenforscherInnen. Die Geschwister der Elfen treffen wir natürlich auf allen Kontinenten, sie tragen nur andere Namen, heißen Phi (Thailand) oder Pumuckel (Bayern) und sind überall sehr naturverbunden. Selbst in New York wurden sie beobachtet, nachzulesen in Martin Millars bezauberndem Roman „Die Elfen von New York“.
Das Buch „Naturgeister“ im Aquamarin Verlag allerdings ist kein Roman, sondern ein streng gegliedertes Nachschlagewerk über diverse Elfenarten, ihre Habitate, Eigenschaften und Macken. Leider ist der Verfasser des Vorwortes, Dr. Quentin C. A. Craufurd, Präsident der Elfenforschungsgesellschaft, bereits im Jahr 1957 verschieden, lange vor Vollendung des Werkes. Doch zum Glück hat sich eine Kommission gefunden, die seitdem weiter fleißig Berichte gesammelt und das Buch schließlich im Jahr 2000 vollendet hat. Das erinnert ein bisschen an das „Deutsche Wörterbuch“ der zwergenkundigen Grimm-Brüder, von dem zu deren Lebzeiten 1854 der erste Band „A – biermolke“ erschien, während hundert Jahre später, 1954, die Arbeitsstelle Deutsches Wörterbuch mit „zwingherr – zypressenzweig“ den Reigen schloss. 1940 wurden die Aufzeichnungen von Elfenkontakten sogar durch feindliche Hand verstreut, berichtet der Präsident. Vielleicht war zu jener Zeit bereits die Suche nach der Wunderwaffe in Gang. Zum Glück lassen sich Elfen und ihre Energien nicht so einfach instrumentalisieren. Leider lassen sie sich auch selten blicken und, falls doch, nicht mit einer gewöhnlichen Kamera fotografieren. Trotz der unterschiedlichsten Beschreibungen von Menschen, die zumindest Blickkontakt zu den ätherischen Wesen gehabt haben, kann bezüglich Größe (zwanzig Zentimeter bis drei Meter), Aussehen (grüne Gesichtsfarbe, spitze Ohren, Bart) und Kleidung (Zwerge meist Kniebundhosen, aber keinen Hut!) eine gewisse Systematik hergestellt werden. Hier zeigt sich die Sachkenntnis der Autorin. Denn der Zwerg mit Mütze ist eine Schimäre. Was reißt Siegfried, der Drachentöter, denn dem unsichtbaren Zwergenkönig Alberich vom Kopf? Die Mütze, seine Tarnkappe. Erst so wird er überhaupt sichtbar, damit schutzlos und gefügig.
Während Frauen recht ungezwungen über ihre Begegnungen mit Naturgeistern plaudern und dabei durchaus ihren Namen nennen, fürchten Männer oft um ihr Image und bestehen darauf, anonym zitiert zu werden. Hätte Drachentöter Siegfried seinerzeit nur den Zwerg überlistet und damit den Goldschatz erbeutet, wäre die Geschichte wohl nie aufgeschrieben worden. Man hätte ihn als hysterisch diffamiert. Der Kampf mit dem Drachen erst machte ihn zum unsterblichen Helden. Doch was treiben die Zwerge in der Neuzeit? Auch darauf gibt das Werk Antworten: Zu Beginn der Punkära, im Jahr 1978, hatten nämlich Kinder in Nottingham eine Begegnung mit einer ganzen Gruppe von sehr kleinen, fröhlichen bärtigen Männern, die zu zweit in kleinen grün und gelb lackierten Autos saßen. Diese Beobachtung, die hier durch den Klassenlehrer belegt ist, bestätigt eine These von Islands Elfenbeauftragten Erla Stefansdóttir: „Die Elfenwelt ist unserer zeitlich etwa hundert Jahre zurück. Da existiert beispielsweise noch kein Kino.“ Andererseits gaben die etwa dreißig Autos keinerlei Motorengeräusch von sich. Ist da vielleicht schon das Ökoauto in Betrieb, angetrieben durch Wind und Wasser, völlig abgasfrei? Und ist das Tragen von Bärten bei Ravern und Technokids nicht gerade wieder sehr in? Haben uns Zwerge und Elfen unbemerkt längst überholt? WOLFGANG MÜLLER
Marjorie Johnson: „Naturgeister – Wahre Erlebnisse mit Elfen und Zwergen“. Aquamarin Verlag, Grafing 2000, 347 Seiten, 29,80 DMMartin Millar: „Die Elfen von New York“. dtv, München 1998, 294 Seiten, 16,50 DM
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