buchtipp: Wege der Kultur
Wanderlust
Wege sind Kulturgüter. Sie entstehen durch Benutzung. Und sie spiegeln Geschichte wider. Diese Idee vor Augen, beschlossen in der Schweiz vor ein paar Jahren drei Organisationen die Einrichtung eines „Kulturwegs Alpen“. Der sollte das gesamte Land von West nach Ost durchziehen, mit allen vier Sprachen, rund 650 Kilometer.
Partner Nummer eins, der Schweizer Bäcker-Konditorenmeister-Verband, erfand zur Finanzierung das „Alpenbrot – das Brot zum Teilen“, hergestellt vom lokalen Bäcker aus 100 Prozent Schweizer Getreide. Partner Nummer zwei, die Stiftung Alp Action, unterstützt Projekte und Betriebe, die die Bewahrung des Alpenraumes mit seiner Vielfalt an Pflanzen, Tieren und Traditionen ermöglichen. Partner Nummer drei, die Naturfreunde Schweiz, erarbeitete die Route: Der Weg war geschaffen.
Im Herbst 1999 konnte er eröffnet werden: von St. Gindolph am Lac Léman (Genfer See) im Westen bis nach Müstair am östlichen Zipfel des Landes. Um den Beinamen „Kultur“ zu legitimieren, gibt es dazu auch ein Buch, das nicht nur die Wanderroute in einzelnen Etappen genau aufschlüsselt, sondern alles beschreibt, was sich an Kultur rechts und links des Weges bietet. Zu jeder der 30 Etappen gibt es drei Rubriken: Exakte Wegbeschreibung, knappe Beschreibung der Sehenswürdigkeiten und thematischer Essay.
Gleich der erste Essay ist ein sarkastischer Text über das Wohl und Wehe eines Schlosses am Genfer See. Beispiel: „Wenn wieder einmal die Pest umging, veranstalteten die christlichen Waadtländer ein Pogrom. Die einheimischen Juden wurden verfolgt, im Schloss eingesperrt und umgebracht. Weil die Seuchen früher oder später zu Ende gingen, waren die Behörden überzeugt, dass sie wirkungsvolle Epidemiebekämpfung betrieben haben.“
In diesem Stil geht es allerdings nicht weiter. Die nächsten Texte befassen sich sachlich und nüchtern mit Themen wie dem Einfluss der Sprachgrenzen auf das Sozialgefüge, der kulturellen Bedeutung von Wegen, den Ursachen und Folgen von Lawinen und Verkehrslawinen und vielem anderem mehr.
Ein informativer und unterhaltsamer Band, der Wandern und Wissen schön verbindet.
MARTIN HAGER
„Kulturweg Alpen. Zu Fuß vom Lac Léman ins Val Müstair“. Limmat Verlag 1999, 384 S., 38 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen