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buchmessernNana Muskouri für hart gesottene Literaten: In Leipzig wurde der Deutsche Bücherpreis verliehen

Der Griff zum Butt

Leipzig ist gemütlich, Leipzig ist familiär – würde man eine Rangliste aufstellen mit den meistgehörten Allgemeinplätzen auf der Buchmesse, stünden diese beiden ganz vorn. Nicht so groß wie Frankfurt und nicht so busy, ist Leipzig die Messe fürs Publikum (Rang 3 der Allgemeinplätze). Schulklassen bevölkern die Messehallen, und an jeder Ecke gibt es Lesungen, Buchvorstellungen und Schriftstellergespräche. Friedrich Schorlemmer diskutiert mit György Konrád, wann sich die ostdeutschen Intellektuellen zurückmelden. Das Kulturministerium der Tschechei stellt die jüdische Literatur in Böhmen vom 11. Jahrhundert bis heute vor, und Hermann Kant bekennt im Gespräch mit dem MDR: „Natürlich war ich für die Stasi, was denken Sie denn!“

Dass aber Bücher und Autoren noch populärer werden, dürfte den Börsenverein des deutschen Buchhandels dazu bewogen haben, dieses Jahr auch noch einen „Deutschen Bücherpreis“ ins Leben zu rufen. Damit dann auch noch das deutsche Fernsehvolk an die hohe und nicht so hohe Literatur herangeführt wird, hat sich der Börsenverein gedacht, die Verleihung dieses Preises im Rahmen einer vom MDR organisierten und ausgestrahlten Fernsehgala vorzunehmen. Mit Frank Elstner als Moderator, mit Showeinlagen, mit halbwegs prominenten Menschen, die die neuen Preise (unter anderen in den Kategorien Sachbuch, Kinderbuch, Debüt) in Form einer von Günter Grass modellierten Bronzefigur („Butt im Griff“) übergeben.

Und so kommt man an diesem Donnerstagabend in den zweifelhaften Genuss, dieser Gala im Kongress-Center Leipzig beizuwohnen – nicht live, aber immerhin in einem Nebenraum, wo die Verleihung auf einer Videoleinwand übertragen wird. Bei Brötchen und Bier schaut man also frontal in die mäßig gespannten Gesichter von Günter Grass und seiner Frau, von Ulla Hahn, Kurt Biedenkopf oder Petra Gerster. Schon die ersten Erläuterungen von Elstner, der abgekämpft wirkt, aber sympathisch ist, lassen nichts Gutes erwarten: Das werde ein ganz schwieriges Ding hier, orakelt er, „wir mixen hier E und U und Sie bekommen etwas, das sie noch nie gesehen haben: Nana Mouskouri und Günter Grass, Nena und Paul Spiegel“. In der Tat bekommt man etwas, das man lange nicht gesehen hat, freiwillig aber keine fünf Minuten angucken würde: eine „Fernsehgala“ für Hartgesottene, eine an Peinlichkeiten reiche Preisverleihung, eine Show, die als „provinziell“ zu bezeichnen eine Beleidigung für die Provinz darstellt. Die Stimmung im Presseraum ist überaus gut, so viel Absurdität auf einen Haufen! Nach zwei Stunden aber und Nana Mouskouris „Freude schöner Götterfunken“ sitzt man richtig abgekocht in seinem Sessel.

Nino de Angelo und Chris Norman, Jan Hofer und Mutter Beimer, City, Niemann und Kim Fischer: im Osten wenig Neues und viel Schlimmes. Dazu ein Moderator, der Literaturzitate mit handelsüblichen Kalauern verwebt („Die Frau ist ein Buch mit sieben Siegeln“), so wie die armen „Butt“-Gewinner. Glück ist, für einen „Butt“ nicht nominiert zu werden! Geradezu rührend mutet es dann am Ende an, als Christa Wolf in ihrer Dankesrede davor warnt, die Literatur nicht der Spaßgesellschaft zu überlassen, die Literatur nicht zur Ware werden zu lassen. Die Spaßgesellschaft hat Geschmack ohne Ende im Vergleich mit dieser Veranstaltung, und auch die Ramschkiste freut sich schon. GERRIT BARTELS

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