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brüsseler spitzenDijsselbloems Schweigen

die eu-parlaments-kolumne

von Eric Bonse

Schnaps und Frauen. Darüber wollte Jeroen Dijsselbloem eigentlich gar nicht reden. Der Chef der Eurogruppe wollte über Solidarität reden, und über Verantwortung. Nun schweigt er. Und macht alles noch schlimmer.

Wie schlimm, das hat sich am Montagabend im Europaparlament in Straßburg gezeigt. Die Fraktionschefs kommen zu einer Routinesitzung zusammen, um über die Tagesordnung zu sprechen. Sie stutzen. Sie ärgern sich. Und dann schlagen sie auf Dijsselbloem ein, zumindest verbal. Denn der hat eine Einladung ins Parlament ausgeschlagen. Der nicht gewählte Chef der Eurogruppe brüskiert die gewählten Abgeordneten.

Inakzeptabel sei das, schimpft der Vorsitzende der größten Fraktion, Manfred Weber (CSU). Der französische Konservative Alain Lamassoure will den Niederländer gar zur Persona non grata erklären. Ist das nicht alles völlig übertrieben? Hat sich Dijsselbloem nicht schon mehrfach für sein „Schnaps und Frauen“-Zitat entschuldigt? Er habe niemanden beleidigen wollen und denke nicht an Rücktritt, beteuert er.

Doch das Problem liegt woanders. Es geht nicht um die Frage, ob da jemand aus dem protestantischen Norden die katholischen Südländer als Frauenhelden und Faulenzer beleidigt hat. Es geht um die Frage, ob ein Interview in einer führenden deutschen Zeitung – der FAZ – mehr Gewicht hat als das Wort im Europaparlament. Es geht um die Dominanz der Gläubiger, und um Demokratie.

Das ist kein neues Thema, im Gegenteil. Im Europaparlament schlägt man sich damit schon seit Jahren herum. Schon 2014 hatten die Abgeordneten einen Bericht vorgelegt, in dem sie mehr Demokratie fordern. Damals ging es vor allem um die Troika, die nach Protest aus Athen in „die Institutionen“ umbenannt wurde.

Heute konzentriert sich die Kritik auf die Eurogruppe und ihren Chef, den viele Abgeordnete als Marionette von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) betrachten.

Doch über die deutsche Dominanz und den Mangel an Demokratie spricht man nicht gern in Brüssel und Straßburg, schon gar nicht offen. Also verlagert sich der verdrängte Konflikt nun auf einen Nebenkriegsschauplatz. Über Schnaps und Frauen kann man sich ja auch leichter aufregen als über Demokratiedefizite der Eurozone.

Übrigens will Dijsselbloem jetzt doch noch nach Straßburg kommen: Fortsetzung am 27. April.

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