bettina gaus über Fernsehen : Wenn die Angst die Nachricht auffrisst
Wie hätte Rudi Völlers Schimpfkanonade wohl nach der Autorisierung durch eine Pressestelle ausgesehen?
Manche Meldungen sind wirklich putzig, vor allem beim dritten Hinsehen. Gerald Thalheim, der parlamentarische Staatssekretär im Verbraucherministerium, gibt ein Zeitungsinterview, in dem er das politische Glaubensbekenntnis der Ministerin zur Makulatur erklärt. Aufschrei, Getümmel, Getümmel. Das Haus distanziert sich vom Staatssekretär, der distanziert sich vom eigenen Interview. Die Ministerin selbst distanziert sich vorläufig nicht, da auf Auslandsreise, wird das aber nach ihrer Rückkehr schleunigst nachholen. So weit, so normal.
Dann steht da noch ein aufschlussreicher Hinweis: Das Interview sei weder von der Pressestelle noch von der Ministerin autorisiert worden. Tatsächlich? Soll das heißen, ein Staatssekretär, der zugleich ein frei gewählter Abgeordneter ist, hat einfach mit Journalisten gesprochen – und kein Zensor hat ihn begleitet? Wie konnte das passieren?
Früher einmal, vor langer, langer Zeit (man muss das den Kindern erzählen, die daran keine eigene Erinnerung haben), da hatten Pressestellen die schlichte Aufgabe, die Arbeit von Amts-und Mandatsträgern zu erleichtern. Inzwischen verstehen sie sich vor allem als Schleusenwärter zur Vermeidung lästiger Meldungen – und sie können den Nachrichtenfluss in beide Richtungen eindämmen. „Es gibt viele Möglichkeiten, eine Pressemitteilung zu verhindern, die der Fraktionsführung gerade nicht in den Kram passt“, sagt die ehemalige Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach. „Die einfachste besteht darin, dass die Pressestelle einfach keinen Kontakt zu Journalisten herstellt. Abgeordnete, die weniger prominent sind, verfügen häufig nicht über eigene Drähte.“ Und müssen sich dann zu Hause fragen lassen, warum sie so selten in der Zeitung stehen. Eine solche Erfahrung diszipliniert.
Die beteiligten Pressesprecher sind im Regelfall weder bösartig noch Gegner der Meinungsfreiheit, sondern sie haben Angst um ihren Job. Den verlieren sie, wenn zu viele unbequeme Artikel erscheinen. Die Folgen können skurril sein: Eine Kollegin führt ein Gespräch mit dem Manager des Tochterunternehmens von einem Großkonzern. Anruf der Pressestelle des Großkonzerns: „Sie werden uns die Zitate doch vor Veröffentlichung vorlegen?“ Nein, eigentlich war das nicht vorgesehen. Aber es ist interessant, welchen Ablauf manche Leute inzwischen für selbstverständlich halten.
Pressegespräch im Verteidigungsministerium. Das Statement des Generals ist zur Veröffentlichung freigegeben. „Wir wissen ja, dass Sie auch etwas mit nach Hause bringen müssen“, sagt der Sprecher etwas gönnerhaft, aber durchaus wohlwollend zu den Journalisten. „Ihre Fragen setzen wir dann unter drei.“ Unter drei: Das ist eine Formulierung aus der Satzung der Bundespressekonferenz. Sie bedeutet einfach „vertraulich“, klingt aber besser, weil irgendwie professionell und eingeweiht. Und gelegentlich auch weniger albern. Womöglich wäre sich der Sprecher doch ein bisschen blöd vorgekommen, wenn er hätte sagen müssen: „Ihre Fragen behandeln wir dann vertraulich.“ Schließlich ging es ja eigentlich nicht um die Fragen, sondern um die Antworten.
Hintergrundgespräche können durchaus sinnvoll sein, und sie bedeuten nicht automatisch eine unzulässige Verbrüderung zwischen den Gesprächspartnern. Zuverlässige Informationen über interne Machtkämpfe, aber auch über mittelfristige politische Pläne bereichern die Berichterstattung. Meistens sind sie aber nur dann zu bekommen, wenn die Gewährsleute auf Vertraulichkeit bauen dürfen. Sonst reden sie halt nicht.
Wenn jemand wirklich etwas zu sagen hat, dann kann – und muss – ihm Informantenschutz zugesichert werden. Aber dieser Schutz hatte ursprünglich nicht den Zweck, Denkfaulheit zu unterstützen, nach dem Motto: Ich rede halt mal so vor mich hin, und wenn Sie es benutzen wollen, dann müssen Sie es mir vorher zur Genehmigung vorlegen. Früher galt die Regel, dass alles veröffentlicht werden durfte, was nicht ausdrücklich untersagt worden war. Inzwischen ist es umgekehrt. Alles ist verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt worden ist. Es gibt Gründe, warum der politische Teil vieler Tageszeitungen so langweilig geworden ist.
Was das alles mit Fernsehen zu tun hat? Viel. Seit die wirklich wichtigen Pressekonferenzen fast alle von Fernsehteams mitgeschnitten werden, gilt das gesprochene Wort fast nur noch dann als verbindlich, wenn eine Fernsehkamera in Reichweite steht. Diese Tatsache erklärt die große Begeisterung über die Schimpfkanonade von Rudi Völler: Gott, wie authentisch!! Man male sich aus, wie seine Äußerungen nach der Autorisierung durch einen Pressesprecher ausgesehen hätten. Eine andere Frage aber bleibt offen: Warum lassen Journalisten und Öffentlichkeit sich den schleichenden Entzug der Informationsfreiheit eigentlich so widerspruchslos gefallen?
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