bettina gaus über Fernsehen : Klatsch ist demokratisch
Männer tratschen ja angeblich nie. Vielleicht versteht Scharping deswegen nicht, wie man sich interessant macht
Was ist das Tolle an Klatsch? „Dass man hinterher etwas weiß, was man vorher nicht wusste“, sagt meine 13-jährige Tochter. Von wegen. Wenn sie mit ihrer Freundin stundenlang über die Frage spekuliert, ob Ralf in Mona verknallt ist, dann sind beide am Ende genauso schlau wie vorher. Und hatten trotzdem eine gute Zeit. Erwachsene haben im Lauf ihres Lebens mehr über sich gelernt: „Dass man so ein schlechter Mensch sein darf“, sagt Franziska. „Dass es einem selbst gerade nicht so dreckig geht wie denen, über die man redet“, sagt Christiane. „Dass wir uns dabei über andere erheben können“, sagt Andrea. „Die Schadenfreude“, sagt meine Mutter. Und was sagen befragte Männer? Dass sie an Klatsch nicht interessiert seien. Schon recht, ist ja gut.
Klatsch erzeugt das erfreuliche Gefühl, das eigene Leben viel besser im Griff zu haben oder zumindest der nettere Mensch zu sein als die Person, über die gerade hergezogen wird. Unangenehm ist allerdings das schlechte Gewissen, wenn man den Geschmähten plötzlich gegenübersteht. Was für eine Erlösung bedeutet in dieser Hinsicht das Fernsehen! Es ist Genuss ohne Reue, versorgt es uns doch beständig mit nützlichen Informationen über Leute, die wir nie persönlich getroffen haben und von denen wir vielen auch wahrhaftig nicht begegnen möchten.
Jenny Elvers zum Beispiel. Für Journalisten ist es sehr schön, dass sie jetzt auf RTL II „Big Diet“ moderiert. Endlich gibt es für die Frau eine knappe Berufsbezeichnung. Die bisherige Beschreibung „ehemalige Lebensgefährtin des Schauspielers Heiner Lauterbach und Mutter des Sohnes von Ex-Big-Brother-Bewohner Alex Jolig“ war so lang, dass kaum noch Zeit blieb für die eigentliche Nachricht. Der restlichen Öffentlichkeit ist es allerdings völlig egal, ob Jenny Elvers nun als Moderatorin bezeichnet werden kann oder nicht. Es genügt, dass sie ihr Leben lebt.
Vom Dorfdeppen bis zum Kleinstadtflittchen hat es immer Leute gegeben, deren gesellschaftliche Aufgabe in nichts anderem bestand als darin, ihrer Umgebung gute Klatschgeschichten zu liefern. Diese Leute haben schon vielen Menschen große Freude bereitet. Gesegnet sei Jenny Elvers, gesegnet Boris Becker, der ihr immer ähnlicher wird. „Ehemaliger Tennisspieler“ ist kein gutes Label. Aber „der Mann, der innerhalb von fünf Sekunden mit einer ihm unbekannten Frau ein Baby zeugen kann“ – das ist fast unschlagbar.
Auch Naddel ist klasse. Was sie denn nun eigentlich tatsächlich könne, wollte Beckmann kürzlich von ihr in der gleichnamigen TV-Talkshow wissen. Ihre Versuche als Schauspielerin und Moderatorin seien „in die Hose gegangen“, erwiderte die Exfreundin von Dieter Bohlen entwaffnend offenherzig. Eigentlich sei sie „eine ganz normale Hausfrau“. Aber: „Man wird auf jeden Fall weiteres von mir hören.“ Hoffentlich.
Sie verstehen diesen Wunsch nicht? Niemals würden Sie über jemanden wie Naddel, Jenny Elvers oder Boris Becker klatschen? Sehr lobenswert. Und was meinen Sie, wie man das nennt, wenn Sie sich über die Verkommenheit und Niveaulosigkeit einer Gesellschaft unterhalten, die über diese Leute redet? Analyse der herrschenden Verhältnisse? Nein, ehrlich gesagt: So nennt man das nicht.
Klatsch erzeugt ein wohliges Gemeinschaftsgefühl. Er ist eine lustvolle Form, sich gemeinsamer Normen zu versichern: So doof – opportunistisch, unmoralisch, naiv – wie die, über die wir reden, sind wir gottlob nicht. Derartige Gespräche sind Streicheleinheiten fürs eigene Ego. Die Normen aber möchten wir schon gerne selber definieren. Und sie uns nicht von denen diktieren lassen, über die wir herziehen. Warum fällt es vielen Politikern bloß so schwer, dieses einfache Gesetz zu begreifen? Immer wieder versuchen sie, es außer Kraft zu setzen. Es macht Spaß, sie bei ihrem Scheitern zu beobachten.
Logik ist nicht jedermanns Sache. Der Bundeskanzler will sich auf juristischem Wege gegen indiskrete Medienberichte wehren – und lässt wenig später seine Ehefrau öffentlich erklären, sie schicke ihre zehnjährige Tochter um sieben Uhr ins Bett. Ganz abgesehen davon, dass dies nur funktionieren dürfte, wenn sie das Kind mit schweren Ketten ans Lager fesselt: der durchsichtige Versuch, im konservativen Lager zu punkten, ist nicht ungefährlich. Wer sich mit seinen privaten Angelegenheiten ins Gespräch bringt, kommt ins Gerede. Er verwirkt das Recht auf Schonung.
Klatsch ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Er hat nicht nur etwas mit Voyeurismus zu tun, sondern auch mit Exhibitionismus. Unser Interesse können dauerhaft nur diejenigen wecken, die uns einen Blick hinter die verbotene, letzte Tür werfen lassen, hinter der die Abgründe lauern. Deshalb hören wir Boris Becker gerne zu und finden die demonstrative Verliebtheit von Verteidigungsminister Rudolf Scharping – bestenfalls – langweilig. Klatsch ist eine sehr demokratische Form der Unterhaltung.
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