bettina gaus über Fernsehen: K.o. durch o.k.!
Wenn einem Politiker auf eine Frage trotz viel Sendezeit nichts mehr einfällt – das ist eine Sternstunde des Fernsehens
Die wirklich anrührenden Augenblicke finden im Fernsehen genau wie im richtigen Leben meistens statt, wenn man sie am wenigsten erwartet – und wir verdanken sie oft Leuten, denen wir das nie zugetraut hätten. Franz Müntefering zum Beispiel. Das ist der Mann, der ran muss, wenn ein Thema so unangenehm ist, dass sich niemand sonst findet, der vor die Kameras treten möchte. Da sich dafür eigentlich fast immer jemand findet, muss ein Thema also schon sehr unangenehm sein.
Dass die Eskapaden des verliebten Verteidigungsministers an Müntefering hängen blieben, war keine Überraschung. Vor einigen Tagen nahm er im „heute journal“ seinen Parteifreund vor allen Vorwürfen in Schutz. Pflichtbewusst, routiniert und unglaubwürdig. Dann fasste Moderator Wolf von Lojewski noch einmal zusammen: Rudolf Scharping werde also im Amt bleiben, alle Vorwürfe seien unbegründet. Und plötzlich ging die Kraft zu Ende, unmittelbar vor der Ziellinie. Ein ganz spitzes Mündchen machte der SPD- Bundesgeschäftsführer auf einmal. Er zögerte – nur den Bruchteil einer Sekunde zu lang. Aber das reicht ja immer schon, wie jeder Ehebrecher und jede Krebsärztin weiß. Schließlich presste er mit verlegenem Lächeln gerade mal zwei Buchstaben heraus: „O.k.“
O.k.? Was genau wollte Müntefering uns damit sagen? „Lieber Herr von Lojewski, Sie haben meine Äußerungen völlig richtig wiedergegeben, mein Kompliment?“ Ach nein, so hörte sich das nicht an. Es klang vielmehr wie: „O.k., Sie haben gewonnen. Wenn ich mir diesen Schwachsinn in der Zusammenfassung anhören muss, dann fällt mir dazu auch nichts mehr ein.“ Ein Politiker, dem auf eine Frage trotz großzügig angebotener Sendezeit nichts mehr einfällt – das ist eine Sternstunde des Fernsehens.
Mag sich jemand vorstellen, was aus diesem „o.k“ in der abschließend genehmigten Fassung eines Zeitungsinterviews geworden wäre? Das mag sich niemand vorstellen? Verständlich. Im Zusammenhang mit gedruckten Äußerungen ist inzwischen der Nachrichtenwert oft weit weniger interessant als die Frage, warum diese oder jene Formulierung unbeanstandet durchgegangen ist. Der Nachrichtenwert tendiert immer häufiger gegen null, aber die Motivforschung kann gelegentlich aufschlussreich sein. Die Kremlastrologie vergangener Tage war dagegen ein Sandkastenspiel. Das Fernsehen ist in dieser Hinsicht eindeutiger als die Zeitung. Eine Kamera kennt keine Rücksichtnahmen.
Unvergessen bleibt, wie die CDU-Politikerin Rita Süssmuth mit einem Fernsehinterview in die Kritik geriet und hinterher ganz fassungslos erklärte, die Äußerungen seien doch gar nicht autorisiert gewesen. Nein, das waren sie bestimmt nicht. Bisher hat sich diese Praxis bei den elektronischen Medien nämlich nicht eingebürgert. Wahrscheinlich kommen wir noch dahin, aber vorläufig gehören Fernsehinterviews und Talkshows zu den wenigen Situationen, in denen wir von der Zeitung unsere Kollegen vom Fernsehen zu Recht beneiden. Wir geben das allerdings nur ungern zu.
Über die Gefahren der Massenmanipulation durch das Fernsehen ist in den letzten Jahren so viel geschrieben worden, dass es gar nicht mehr nötig zu sein scheint, die Befürchtungen auf ihren Realitätsgehalt hin zu überprüfen. Sie sind ohnehin zu Tatsachenbehauptungen mutiert. Immer wieder wird gern behauptet, dass der Rollstuhlfahrer Franklin D. Roosevelt im Zeitalter des Fernsehens nie zum Präsidenten der USA gewählt worden wäre. Das mag sein. Aber Wolfgang Schäuble hätte durchaus Bundeskanzler werden können. Dass er es nicht geworden ist, liegt nicht an seinem Rollstuhl. Es gibt übrigens auch die weiter gehende These, dass heute niemand in der Politik erfolgreich sein kann, der nicht telegen ist. Haben Sie sich mal irgendeine beliebige Politikerrunde unter diesem Gesichtspunkt angeschaut? Sehen Sie, jetzt müssen Sie lachen.
Natürlich ist es wahr, dass Politikerinnen und Politiker sich in immer stärkerem Maße des Fernsehens bedienen – aber die Mechanismen der Gegenwehr, die das Publikum entwickelt hat, werden bei weitem unterschätzt. Warum kann Franz Müntefering ein Verhalten verteidigen, das nicht zu verteidigen ist, ohne dabei seinem eigenen Ansehen zu schaden? Weil er weiß, dass ohnehin niemand glaubt, er meine es ernst. Er spielt ein Spiel, dessen Regeln sehr präzise festgelegt sind.
Nun lässt sich gut begründen, dass es der parlamentarischen Demokratie gewiss nicht zuträglich ist, wenn die politische Klasse den Verlust ihrer Glaubwürdigkeit für ein Gesellschaftsspiel hält. Aber ein gesundes Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber ihren Repräsentanten mag diesen Nachteil durchaus aufwiegen. In diesem Zusammenhang sollte das Verdienst des Fernsehens nicht unterschätzt werden. Außerdem macht es einfach Spaß, einem Profi wie Müntefering dabei zuzuschauen, wie er live k.o. geht. Das ist wirklich o.k.
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