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bettina gaus über FernsehenGeschichten von den finsteren Mächten

Weltweit werden Märchen erzählt: in Hollywood-Filmen, auf CNN, am Herdfeuer in Somalia. Aber sie widersprechen sich

Nachrichtensendungen im Fernsehen haben viel mit Märchen gemeinsam. Nicht etwa deshalb, weil in beiden die Unwahrheit erzählt würde – alle berühmten Märchen sind ja in einem tieferen Sinne wahr. Vielmehr besteht die Gemeinsamkeit darin, dass beide Genres vom Prinzip der Wiederholung leben und von der Beschränkung auf einfache Sachverhalte. Aus unterschiedlichen Gründen haben Märchenerzähler und Nachrichtensprecher nicht viel Zeit, um ihr Publikum an sich zu fesseln. Das gelingt ihnen am besten, wenn der notwendige Aufbau immer neuer Spannungsbögen in den beruhigenden Rahmen vertrauter Paradigmen eingebaut ist. Märchen und Nachrichtensendungen können ihre volle Wirkung nur im jeweils eigenen kulturellen Kontext entfalten. Deshalb genießt CNN in den USA eine höhere Glaubwürdigkeit als in Afrika.

In diesen Tagen zeigt der amerikanische Fernsehsender häufig Ausschnitte des erfolgreichen Kinofilms „Black Hawk Down“, in dem es um blutige Gefechte zwischen US-Soldaten und somalischen Milizen im Jahre 1993 geht. Damals waren 18 Amerikaner und mehrere hundert Somalis, unter ihnen auch zahlreiche Zivilisten, getötet worden. Die Soldaten sind die Helden des Films. Die somalischen Opfer werden im Abspann erwähnt. Der politische und der faktische Hintergrund der Lage tritt hinter die Symbolik zurück. Wie das in Märchen so üblich ist.

In den USA und auch in vielen europäischen Ländern werden die Ereignisse in Somalia zu Beginn der 90er-Jahre etwa folgendermaßen erzählt: In einem bettelarmen, weit entfernten Land herrschte einst eine große Hungersnot, an der viele Menschen, vor allem Kinder, starben. Wer den armen Leuten helfen wollte, setzte sein Leben aufs Spiel, denn in diesem Land gab es gefährliche Räuberbanden. Sie erbeuteten alle Nahrungsmittel und schreckten dabei vor Mord und Totschlag nicht zurück. Das konnte der mitleidige Präsident der Vereinigten Staaten nicht mehr mit ansehen. Er schickte Soldaten in das arme Land, die dafür sorgen sollten, dass die Hungernden etwas zu essen bekamen. Das haben diese Soldaten auch getan, und die Not hatte zunächst ein Ende.

Leider geht die Geschichte aber noch weiter. Böse Männer, die nur an ihr eigenes Wohlergehen dachten, fühlten sich in ihrem üblen Treiben gestört. Sie kämpften gegen die Soldaten und töteten viele. Eine Leiche wurde gar im Triumphzug durch die Straßen der Hauptstadt gezerrt. Da wurde der gute Präsident sehr zornig. Er holte die überlebenden Soldaten zurück nach Hause. Das hatten die Leute in dem bettelarmen Land nun von ihrer Undankbarkeit.

Allerdings wird auch in Somalia ein Märchen erzählt. Das hat ebenfalls einen wahren Kern – und spiegelt einen kulturellen Kontext wider. Mit der Sichtweise von „Black Hawk Down“ lässt es sich schwer in Einklang bringen. Als CNN einen Ausschnitt aus dem Film zeigt, versammeln sich immer mehr Zuschauer vor dem Fernseher im Foyer des komfortablen Maansoor-Hotels in der nordwestsomalischen Stadt Hargeisa, das über einen Satellitenanschluss verfügt. Niemand spricht ein Wort. Aber viele Lippen werden schmal, und plötzlich fühlt man sich als Ausländerin nicht mehr so richtig wohl.

Das somalische Märchen geht so: Es gab einmal ein reiches, weit entferntes Land, dessen Einwohner und Regenten nicht damit zufrieden waren, dass es ihnen so gut ging. Sie wollten alle Schätze der Erde besitzen und die ganze Welt beherrschen, wussten jedoch, dass sie das nicht offen sagen durften. Deshalb griffen sie zu einer List: Sie taten so, als ob ihnen einzig an der Hilfe für diejenigen gelegen wäre, die vom Glück weniger begünstigt waren – und versuchten damit zugleich, ihr wahres Ziel zu erreichen.

Aber die Menschen in dem bettelarmen Somalia, das immerhin über kostbares Öl verfügt, waren wachsam. Schließlich hatten sie sich gerade erst aus eigener Kraft von einem blutigen Tyrannen befreit. Deshalb durchschauten sie die finsteren Absichten der Eroberer und wollten lieber sterben, als sich zu unterwerfen. Am Ende gelang es ihnen, die Eindringlinge zu vertreiben und ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Ganz zu Ende ist leider auch dieses Märchen nicht: Bis heute herrschen in diesem Land große Armut, Gesetzlosigkeit und Anarchie.

Die Frage ist müßig, ob somalische oder amerikanische Geschichtenerzähler den größeren Anspruch auf historische Genauigkeit haben. Schließlich sind Märchen und Fernsehberichte nicht zur Stärkung der Analysefähigkeit da, sondern zur Herausbildung eines kollektiven Bewusstseins. In armen Ländern wie Somalia, die eine große Tradition der mündlichen Überlieferung haben, spielt das Fernsehen eine geringere Rolle als in Industrienationen. Das gilt auch für Afghanistan. Westliche Fernsehberichte über die Lage dort kommen derzeit fast nur aus Kabul, und in ihnen ist überwiegend von Siegern die Rede. Nicht von zivilen Opfern. Was aber erzählen Großmütter in Dörfern derzeit ihren Enkeln?

Fragen zu Fernsehen?kolumne@taz.de

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