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bettina gaus über FernsehenDer Wahnsinn mit Moranello

Cineasten, Alte und politisch Interessierte müssen die „Tagesschau“ retten

Zu erheblicher Verärgerung in den USA und beim Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen hat die Weigerung Sambias geführt, Hilfslieferungen von gentechnisch verändertem Mais ins Land zu lassen. Können Sie sich an die Meldung in der „Tagesschau“ erinnern? Sie ist von erheblicher Tragweite. Das Danaergeschenk stürzt die Regierung in Lusaka in einen praktisch unlösbaren Zwiespalt: Im einen Fall riskiert sie eine Zuspitzung der Nahrungsmittelengpässe sowie einen tief greifenden Konflikt mit wichtigen Gebern – und das im Zeichen einer Hungersnot. Im anderen Fall drohen langfristige Folgen. Der Mais ist nämlich auch als Saatgut gedacht, was das Land zum dauerhaften Konsum von Genfoood zwänge. Und die Gefahr von Hungersnöten vergrößerte, weil heimische Gewächse längere Dürreperioden besser überstehen als hochgezüchtete Kulturpflanzen aus der westlichen Welt.

Sie können sich an die Meldung in der „Tagesschau“ nicht erinnern? Das ist nicht erstaunlich. Es hat sie nie gegeben. Um über diese und andere Themen informiert zu werden, muss man Zeitung lesen. Die „Tagesschau“ versteht sich offenbar in immer geringerem Maße als Ergänzung der seriösen Presse, sondern stattdessen als Konkurrenz zu anderen Nachrichtensendungen im Fernsehen, auch denen der privaten Sender. Schade. Es sollte umgekehrt sein. RTL mag noch so viele Preise einheimsen: Die Seriosität und der Informationsgehalt der ARD-Nachrichten sind nach wie vor unerreicht. Allerdings arbeiten die Kollegen hart daran, dass sich das ändert.

„Ich schau mir noch die ersten drei Meldungen der ‚Tagesschau‘ an, dann fahr ich los.“ Jahrzehntelang war das eine ziemlich präzise Zeitangabe für eine Abendverabredung. Spätestens seit dem 21. Juli dieses Jahres gilt das nicht mehr. Da hat Michael Schumacher ein weiteres Mal die Weltmeisterschaft im Autorennen gewonnen.Viele Leute haben sich über diese Nachricht gefreut, und wer das nicht getan hat, wird es trotzdem überstehen, wenn die „Tagesschau“ ihre Sendung mit dieser Information beginnt. Damit sollte es dann aber auch gut sein. Alle weiteren Einzelheiten zum Thema gehören in den „späteren Verlauf der Sendung“.

Eigentlich. Offenbar war jedoch die Redaktion dermaßen überwältigt, dass sämtliche Sicherungen durchbrannten. Mehr als sechs – Sie haben richtig gelesen: sechs! – Minuten vergingen, bevor die Zuschauer in Kurzform auch noch über das informiert wurden, was sich sonst so in der Welt getan hatte. Vorher waren sie unter andem mit der Überlegung vertraut gemacht worden, den Sportler mit einem Denkmal zu ehren, hatten die Meinung eines Pfarrers zu dem Großereignis hören dürfen und waren über den „Wahnsinn von Moranello“ informiert worden. Als ob der Wahnsinn in der „Tagesschau“-Redaktion nicht erschreckend genug gewesen wäre.

Politisch interessierte Zuschauer wurden in den Wochen zuvor bereits langsam an Kummer gewöhnt. Je erfolgreicher die deutsche Fußballmanschaft bei der Weltmeisterschaft abschnitt, desto breiteren Raum nahm die Sportberichterstattung – auch – in der „Tagesschau“ ein. Warum bloß? Na klar: wegen der Quote.

Das ist keine ausreichende Begründung für den Anspruch auf Gebühren. Der Ausdruck „Zwangsgebühr“ ist ein ursprünglich zutiefst reaktionärer. Er enthält die Forderung danach, dass auch die Vermittlung von Informationen allein dem Gesetz des freien Marktes unterworfen sein sollte – ein Gedanke, der den Vorstellungen der Aufklärung grundlegend widerspricht. Wer sich für Sport interesssiert, kann die entsprechenden Spartensendungen einschalten. Wer Neues über Promis erfahren will, wird bei RTL II gut bedient.

Diejenigen, die am Ende eines Tages eine komprimierte politische Sendung sehen wollen, sind in der Minderheit? Ja, wahrscheinlich. Deswegen zahlen sie ja auch Fernsehgebühren. Weil die öffentlich-rechtlichen Programme die Minderheiten bedienen sollen. Zum Beispiel auch jenen Zuschauerkreis, der gerne Volksmusik hört. Er gehört überwiegend der älteren Generation an, ist für die Werbewirtschaft wenig interessant – aber noch immer nicht für die Notschlachtung freigegeben. Es gibt ein Recht von Minderheiten, vom Staatsfernsehen versorgt zu werden. Um nichts anderes handelt es sich bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten.

Seien wir nicht ungerecht: Der Zeitgeist macht es ihnen schwer. Wenn die „Richterin Barbara Salesch“ jetzt den renommierten Deutschen Fernsehpreis für die beste tägliche Sendung erhält, dann braucht man sich über den Absturz des öffentlich-rechtlichen Niveaus nicht zu wundern. Die beste tägliche Sendung ist (noch immer) die „Tagesschau“. Lasst uns deshalb ein Bündnis schmieden, notfalls mit der Androhung des Gebührenboykotts. Uns alle, die wir nichts mehr gelten: die Alten, die politisch Interessierten, die Cineasten, die Minderheiten. Gemeinsam sind wir ziemlich stark.

Fragen zu Fernsehen?kolumne@taz.de

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