bernhard pötter über Kinder: Die Machtfrage am Rosenmontag
Kinder unterliegen einem schweren Irrtum: Sie meinen, wir bestimmten über sie. Deshalb lieben sie den Karneval
Opa wird enttäuscht sein. Da hat er mit viel Mühe Jonas eine super Piratenmütze mit Furcht erregendem Totenkopf und eine große Piratenfahne genäht. In den letzten Wochen hat der blonde Korsar mehrfach den Kühlschrank geplündert, unschuldige Schwestern verschleppt und aus dem Hinterhalt väterliche Geleitzüge überfallen. Und dann sagt er: „Zu Fasching gehe ich als Jäger.“
Jäger?
„Aber warum nicht als Pirat?“, sagt Anna. Panik glimmt in ihren Augen. Pirat heißt: Wir haben alles im Haus. Jäger heißt: Stoff kaufen, Entwürfe machen, zuschneiden, anpassen, nähen und, und, und.
„Weil Piraten ein Holzbein haben“, erwidert Jonas. „Und weil die Jäger die Piraten fangen. Und weil die Jäger mit einer Pistole schießen.“
Und weil alle Jungen im Kindergarten in diesem Jahr als Jäger gehen, erfahre ich ein paar Tage später. Und die paar Mädchen, die nicht als Prinzessin erscheinen, ebenfalls als Jäger unterwegs sind. Warum dieses Kostüm-Artensterben? Wir hatten früher immerhin die Auswahl zwischen Cowboy und Indianer. Vielleicht liegt die Konzentration auf den Beruf des Waidmanns ja an der Debatte um BSE und Ernährungssicherheit. Oder doch daran, dass seine Kita-Gruppe das Theaterstück „Schneewittchen und die 21 Zwerge“ probt.
Überhaupt: Karneval. Als Preuße hat man damit ja nichts am Hut, wenn andernorts ganze Landstriche in der Tollerei versinken. Davor haben uns die Miesepeter von protestantischen Reformatoren bewahrt, die uns „mutwillen, Schreien und andre leichtfertigkeit, wie bisanhero an der teufels fassnacht“ in Mode waren, schlicht austrieben. In Berlin verbieten wir sogar unserem Regierenden Bürgermeister, beim Karnevalsumzug die Milliardenlöcher in seinem Haushalt zu vergessen. Sonst, so fürchtet seine lustfeindliche Partei, könnte er bald nur noch als Partylöwe gelten. Und wir zwingen die exilierten BonnerInnen, in ihrer Heimweh-Kneipe „Ständige Vertretung“ beim Schunkeln Kopfhörer aufzusetzen, weil die Musik zu laut ist.
„Karneval hatte eine wichtige gesellschaftliche Funktion“, belehrt mich meine mir angetraute Historikerin. „Das waren die Tage im Jahr, wo die Gesellschaft auf den Kopf gestellt wurde, aus Arm wurde Reich und umgekehrt, und die Kirche zeigte den Menschen vor der Fastenzeit, wie sie besser nicht leben sollten.“ Zur Warnung vor dem ausschweifenden Leben gehören auch die Opfer der jecken Raserei: Nach jedem zünftigen Fasching bleiben hunderte von Kubikmetern Müll, zentnerweise zermatschte Bonbons, lädierte Knochen, eingezogene Führerscheine und tausende gebrochene Herzen auf dem Tanzboden zurück.
Dabei ist ja immer Karneval. Nicht nur wir hauptstädtischen Preußen sind beim Rumtata in der Endlosschleife gefangen: Zu Silvester zelebrieren wir die brisante Mischung aus Alkohol und Knallkörpern, im Sommer tanzen wir beim Christopher Street Day, der Love Parade und dem Karneval der Kulturen. Statt des einmaligen Events vor Beginn der Fastenzeit sind heute sieben Tage die Woche tolle Tage: Nacktes Fleisch ist zumindest visuell jederzeit verfügbar, Aldi hält die Bierpreise konstant niedrig, Harald Schmidt steigt jeden Abend in die Bütt.
Warum dann noch Karneval? Weil es seinen Reiz hat, hinter einer Maske mal den Herrn Nachbarn kräftig in den Po zu kneifen und die zickige Kollegin hemmungslos angetrunken zu erleben. Für Kinder gilt das allerdings nicht. Sie stellen die Herrschaftsverhältnisse ohnehin jeden Tag auf den Kopf, ohne sich dieser permanenten Revolution wirklich bewusst zu sein. Bitten, Ermahnungen, Befehle, sich jetzt endlich die Zähne zu putzen, ignoriert Jonas souverän („Nei-hen, mach’ ich nicht.“). Wenn es um die Menüfolge geht („Erst das Schokoladeneis, dann die Fischstäbchen!“), genießen die Eltern kaum noch Respekt. Stattdessen müssen wir im Kampf der Generationen Spottlieder erdulden („Schnauf, schnauf, schnauf, Papa, steh jetzt auf!“). An besonders nervigen Abenden warten wir heimlich darauf, dass die Revolution ihre Kinder frisst. Aber den Gefallen tut sie uns nicht.
Kinder unterliegen einem fundamentalen Irrtum: Sie glauben, die Erwachsenen könnten über sie bestimmen. Deshalb reizt sie am Karneval weniger der Trubel als das Gefühl von Macht. Petra will endlich mal nicht nur die Geschichte von Rotkäppchen hören, sondern selbst Rotkäppchen sein. Lena kann als Prinzessin die anderen Kinder in ihren Hofstaat verwandeln, der scheue Moritz kann den anderen endlich als Löwe Angst einflößen. Und Jonas kann schließlich mit meiner alten Indianerflinte auf die Pirsch nach der Erzieherin gehen: „Wenn wir die Jäger sind, dann soll sich Rosa als Büffel verkleiden.“
Fragen zu Kindern?kolumne@taz.de
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