berlinmusik: Yoga im Osten
„Nichtseattle“ nennt sich ein noch recht junges Projekt der Berliner Musikerin Katharina Kollmann – dieser Arbeitstitel weckt natürlich direkt pophistorische Assoziationen von Nirvana bis Tocotronic. Auf „Wendekid“, der ersten Veröffentlichung von Nichtseattle, klingen auch tatsächlich Referenzen zu den Neunzigern, zu Grunge, Emocore und Adidas-Trainingsjacken an, aber in erster Linie vereint dieses Debüt klassische Singer-Songwriter-Stücke (mit deutschen Texten), die gelegentlich in diese Richtung ausfransen.
„Wendekid“ ist die vertonte Story einer Kindheit, die – wie der Titel es nahelegt – zur Wendezeit spielt. Die Künstlerin ist 1985er-Jahrgang, in Berlin-Karlshorst aufgewachsen, die Songs tragen sehr starke autobiografische Züge, im Booklet des Albums finden sich passend dazu auch nachkolorierte Familienfotos. Die Songs kommen überwiegend mit belegtem, melancholischem Gesang, Gitarre und atmosphärischen Samples aus, in drei Stücken kommen Drums (Manuel Kailuweit/Rudi Fischerlehner) dazu; die LoFi-/Homerecording-Produktion passt gut zu diesem Ansatz. Kollmann schildert die Erwachsenenwelt noch einmal aus Kinderperspektive und schafft so einerseits eine sehr intime Erzählung („immer samstags bei opa im garten / und dazwischen brät ein schwein“) und angesichts der politischen Zäsur auch eine politische Geschichte („die sind aus’m osten / die können nichts dafür / das braucht zeit die sind aus’m westen / die können nichts dafür / das braucht zeit“). Insgesamt ein ziemlich gelungenes Storytelling-Album.
Atmosphärisch gibt es durchaus Parallelen zum Noise-Pop-Trio Yoga, das in diesen Tagen mit „Projektil“ eine neue EP veröffentlicht. Denn auch Yoga klingen zwischendurch nach Neunziger-Gitarrenrockstilen, nach Shoegazer, Grunge, Postrock und Emocore. Und auch hier finden sich gut arrangierte und komponierte Stücke wie „Falsche Flagge“ und „Ian MacKaye“, das eine tolle Hommage an den Minor-Threat-/Fugazi-Sänger und Labelbetreiber gleichen Namens ist. Es ist ja erst die dritte EP dieser Band, die zuletzt pausiert hat – aber diese vier Stücke klingen sehr „reif“ (sorry, mir fällt grad kein besseres Wort ein) und machen Lust auf mehr. Jens Uthoff
Nichtseattle: „Wendekid“ (Eigenverlag), live: 7. 2., 20 Uhr, Ackerstadtpalast, mit Rudi Fischerlehner
Yoga: „Projektil“ (Späti Palace/Morr Music), live: 8. 2., Zukunft am Ostkreuz
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen