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berlinmusikVerlorene Sache

Zehn Minuten Minnesang zur Harfe. Wo Sebastian Krämer draufsteht, kann die eine oder andere Überraschung drin warten. Etwa dieses sechshundertsekündige „Chanson d’Aventure“, in dem der Berliner Barde davon erzählt, wie er auszieht, einen Drachen zu erlegen. Was er in der gewohnten, von ihm perfektionierten Sprache tut, einem Mashup aus elaboriertem Code, poetisch-archaischen Wendungen, Alltags- und Neudeutsch.

Da stehen Wendungen wie „… und es treibt der Wind / Wolken, die uns glauben machen, daß wir hier beim Zuschau’n in Bewegung sind“ neben „Ach, Liebling, machst du bitte mal den Router aus und dann gleich wieder an!“. Als Begleitung steht dem Pianisten diesmal das Metropolis Orchester Berlin zur Seite. Zwar hat er in der Vergangenheit auch schon einzelne Aufnahmen mit dem Mendelssohn Orchester Leipzig gemacht, doch hier ist das Berliner Ensemble in fast jedem Stück und mit stets neuen Klangfarben zugegen.

Das Doppelalbum teilt sich in eine Studio- und eine Live-LP, was reichlich Raum bietet für Krämers Entertainer-Einlagen, die er auch schon mal mit brutalstmöglicher Konsequenz darbietet, so im mitklatschtauglichen „Stimmungslied“, dessen Titel „Da fehlt noch Salz am Honigkuchenpferd“ die Sache gut zusammenfasst.

An anderer Stelle präsentiert er das „sich selbst ansagende“ Lied „Schickiwiki“, der Text ist eine in reim- und versfreier Prosa gehaltene Beschreibung des Lieds, singend vorgetragen, versteht sich. Gesprochenes Wort bietet Krämers Deutsch-Klausur zum Thema „Durfte Max Brod Kafkas Schriften erhalten?“, vom Orchester ab der Hälfte dramatisch vertont.

Dass Krämer als jemand, der Humor kann, sich notgedrungen auf Melancholie versteht, gibt er oft auf der Studioplatte zu erkennen. Da ist nicht alles zum Brüllen, in „Der Buchleser“ verneigt er sich sogar zart vor Ernst Barlachs berühmter Skulptur „Lesender Klosterschüler“. Und „Für eine verlorene Sache“ zelebriert leise den Verlust von diesem und jenem.

Im vergangenen Jahr noch hatte Krämer ein Best-of-Album mit „alten“ Hits herausgebracht, Lieder, von denen er sich verabschieden wollte. Jetzt hat er etwas Neues ausprobiert. Und sammelt damit schon mal die nächsten, stilleren Hits fürs Repertoire. Tim Caspar Boehme

Sebastian Krämer: „Vergnügte Elegien“ (Reptiphon/Broken Silence), live: Heimathafen Neukölln, 25. 1.

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