: berliner szenenIm Zugzwang
Illegal, aber matt!
B. war sehr nervös an diesem Abend, als er mich besuchte, denn am nächsten Tag hatte er einen Interviewtermin beim Arbeitsamt. Es ging um eine Stelle, an der er durchaus interessiert war, auch wenn er immer wieder betonte, dass das doch eigentlich völliger Unsinn wäre, schließlich würde er nur hundert Euro mehr im Monat erhalten, wenn er den Job bekäme. Und überhaupt, mit was für einer Haltung sollte er da hingehen? Sollte er sein Interesse durchscheinen lassen, was auf großen Stress hinauslaufen könnte, denn dann wäre die Angst, die Stelle nicht zu bekommen ja sein unübersehbarer Begleiter, eine große Prüfungspanik könnte sich aufbauen und jede Lockerheit ginge verloren. Oder sollte er einfach so hingehen, wie man zu einem alten Kumpel geht, mal vorbeischauen, was der Achim (der ihm zugeteilte Arbeitslosenbetreuer) macht, wie der die Dinge jetzt so sieht. Auch politisch.
Draußen regnete es. Es war Herbst. Wir spielten Schach, wie wir früher immer Schach gespielt hatten. Gut gelaunt schaute er auf das Brett. Das Spiel war völlig illegal, statt auf dem weißen Feld stand seine Dame auf dem schwarzen Feld. Wir hatten dennoch weiter gespielt, weil das ja auch mal sehr spannend ist. Meine Stellung war prima. In wenigen Zügen würde er matt sein. Er war am Zug und schlug triumphierend lächelnd mit seiner Dame einen Bauern und sagte „Matt!“. Was er jedoch für seinen Läufer gehalten hatte, der den Angriffszug seiner Dame gedeckt hätte, war in Wirklichkeit ein Bauer gewesen. Begeistert schauten wir auf die Verwechslung. Einen Bauern für einen Läufer zu halten, das war keinem von uns bislang passiert. Drei Züge später war er matt. Draußen regnete es immer noch und roch wie November. DETLEF KUHLBRODT