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berliner szenenEr findet das Publikum wunderbar

Wir treffen uns am Friedrichstadt-Palast. Es ist 23 Uhr, menschenleer, gelegentlich rauscht ein PKW über den feuchten Asphalt, das bunte Stadtlicht funkelt in den Pfützen. „Hast du’n Feuerzeug?“, fragt Y. zur Begrüßung und hält mir den Joint unter die Nase. „Ja“, sage ich, „ist aber fast leer“. „Na dann“, drängt sie und wir ziehen eilig, damit die Glut nicht erlischt. Ich schmecke sofort die miese Qualität des Weeds, aber rauche trotzdem tapfer weiter. Unsere Gespräche sind trist und müde. Unter dem vergilbten Erdbeermond schlendern wir jetzt durch die Stadt; zwischen Fassaden, Platanen, prunkvollen Gotteshäusern und den beleuchteten Schaufenstern geschlossener Kunstgalerien. Zwei verarmte Anfang-40er, so gelangweilt und leergelebt wie ihr Feuerzeug, auf der Suche nach Erlebnisresten im analogen Berlin. Als wir am „meisterschueler“ vorbeikommen, verweise ich per Fingerzeig auf das noble Intérieur hinter der riesigen Glasfront und Y. dreht den Kopf. Die Leute tragen Smokings oder Abendkleider, wirken aber selbst nicht sonderlich begeistert. „Oh mein Gott, da sitzt John Malkovich“ sagt Y. da und bleibt ganz unvermittelt stehen. Ich drehe mich um und suche. „Quatsch, du bist high“, sage ich und schaue durchs Fenster. „Oh Gott! Es ist wirklich John Malkovich!“ Wie im Film sitzt er weltmännisch da, erzählt und gestikuliert in gewohnter Manier. Alles hängt an seinen Lippen. „In the Solitude of Cotten Fields“ heißt das Zweipersonenstück, worin er diese Woche im Admiralspalast spielte. Eine bittere Persiflage auf die Marktlogik moderner Zwischenmenschlichkeit. Und jetzt begaffen ihn zwei Bekiffte wie durch das Panzerglas eines Wildtiergeheges, unklar von welcher Seite aus. Später auf der Heimfahrt steht im Fahrgastfernsehen, John Malkovich finde das deutsche Publikum „wunderbar“.

Maik Gerecke

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