berliner szenen: Der Heiler vom Tegeler See
Alles fing damit an, dass mein Freund und ich beschlossen, einen Sonntagsausflug zum Tegeler See zu machen. Auf dem Weg dorthin wollten wir noch das Humboldt-Schloss besuchen, das Elternhaus der Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt.
Ein weißes, etwas heruntergekommenes herrschaftliches Haus, an dessen Pforte groß stand: Kein Zugang zum See. „Na ja, dahin wird es schon einen Weg geben“, meinte mein Freund, und ich dachte an all die Wege und angeblichen Abkürzungen durch Wald und Gestrüpp, die ich bereits mit ihm bezwingen musste, weil ich nicht darauf insistiert hatte, den normalen Weg zu gehen. Und so liefen wir auch an diesem Sonntag immer tiefer in den Wald, dahin, wo uns das Navi vom Handy lotste. „Gar nicht mehr weit“, meinte mein Freund, um mich bei Laune zu halten, während ich mir durch dornige Äste einen Weg bahnte. Als es wirklich gar nicht mehr weit sein sollte, standen wir vor einem Stacheldrahtzaun. Doch der war nicht das einzige Hindernis: Auf der anderen Seite des Zauns umarmte eine Frau gerade einen riesigen Baum, dahinter gab ein Mann mit grauem Zöpfchen extrem seltsame, schreiende Laute von sich. What the hell, dachte ich. „Sieht aus wie ein Exorzist“, meinte mein Freund. Wir entschieden uns, doch lieber den normalen Weg zu nehmen. Als wir dann endlich den See erreichten und uns am Kiosk Getränke kaufen wollten, sahen wir an einem der Tische die Frau und den Exorzisten, beide Bier trinkend. Wir setzten uns schräg gegenüber, sprachen kein Wort, um herauszufinden, was es mit den beiden auf sich hatte. Ich hörte, dass die Frau an mehreren negativen Persönlichkeiten litt, die immer wieder Besitz von ihr ergreifen würden. Der Mann mit dem schmierigen grauen Zöpfchen musste wohl ihr „Heiler“ sein. Eva Müller-Foell
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