berliner szenen: Hummel, Wespe, alles Fliege
Guck mal,“ ruft der vorgerannte Sohn an der Haustür. „Eine Wespe!“ – „Sicher, dass das keine Hummel ist?“, unke ich. Vor uns sitzt – in Kinderaugenhöhe – ganz eindeutig eine schillernde, blaugrüne Fliege. Der Sohn guckt das Insekt an. „Sumse“, sagt er. Der Knabe ist 10. Fehlendes Insektenwissen hat bei uns Tradition. Früher haben sein Bruder und er immer „Wespe“ geschrien und sind weggerannt, sobald irgendein fliegendes Insekt nur in die Nähe gekommen ist. Ernst wurde die Sache erst, als wir vor ein paar Jahren ein Wespennest auf dem Balkon hatten. Hinter einem winzigen Loch neben der Jalousie. Da war was los. In dem Loch: Wir haben uns vorgestellt, wie die Wespen sich zwischen der Außenwelt und unserer Weißenseer Küche ein verschachteltes Schloss bauen. Und auch vor dem Loch: Die Jungs hatten einen heißen Sommer lang recht, als sie immer wieder „Wespe“ brüllten. Nur, dass dieses Insekt hier eben eindeutig eine Schmeißfliege ist. Die will sich wahrscheinlich in der Tür keine Wohnung bauen, erkläre ich. Und dass wir die früher immer „Scheißfliegen“ genannt hätten. Der Sohn feixt. „Ah“, überlegt er. „Hauptsache, es schmeckt.“ Wir schließen auf, die Fliege hebt ab. Wir stehen im Treppenhaus. „Weißt du noch, wie du dich im Urlaub mal fast auf eine Hornusse gesetzt hast?“, fragt mich das Kind. „Hornisse, meinst du“, berichtige ich automatisch. „Nee, die Hornassen, in Schweden, da war auch ein Nest. Hat dich fast in den Hintern gestochen.“ Er nickt wissend. Wir steigen nach oben. „Ach, harmlos“, antworte ich. „Sumsende Tristessen, könnte man sagen.“ Das hört der vorgerannte Sohn schon nicht mehr. „Guck mal“, ruft er aus der Küche. „Eine Wespe!“ Er zeigt auf die Balkontür. Dort sitzt, schillernd und grün, die Schmeißfliege. Hoffentlich will sie jetzt nicht im Wespenschloss einziehen. Klaus Esterluß
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