berliner szenen: Es nennt sich Demokratie
Dein Schnurrbart ist schwierig“, sagt Johanna. „Mein Schnurrbart ist auf der Höhe der Zeit“, sage ich. „Außerdem ist das nicht einfach nur ein Schnurrbart. Das ist ein ikonischer Chevron Mustache.“ „Das macht es auch nicht besser.“ „Was meint ihr denn?“, wende ich mich an unsere Töchter. Es ist Samstag, halb eins, wir sitzen an einem späten Frühstückstisch. „Du siehst dich ja nicht“, sagt Flora. Das hört sich nicht nach einem Kompliment an. „Optisch ist das schon eine Herausforderung“, sagt Marie. Ich habe das Gefühl, vor einem Schnurrbarttribunal zu sitzen. „In Mitte trägt jeder zweite Mann einen Schnurrbart“, verteidige ich mich. „Mitte ist nicht Berlin“, sagt Flora. „Mitte ist Disneyland. Da sind nur Touristen unterwegs.“ „Touristen sind auch Menschen.“ „Aber Menschen ohne Geschmack.“ „Außerdem ist der Schnurrbart-Hype schon wieder vorbei“, sagt Marie. „Dann bin ich eben mein eigener Trend“, sage ich trotzig. „Da, wo ich bin, ist vorne.“ „Ha“, sagt Flora. „Der war gut“, sagt Marie. „Okay“, sagt Johanna und schaltet sich ins Gespräch ein. „Flora hatte rasierte Augenbrauen, Marie rosa Haare. Und ich die verunglückte Idee mit dem Selbstbräuner im Januar. Wir befinden uns alle mal auf modischen Irrwegen.“ Sie sieht mich an. „Folgender Vorschlag: Du und dein Chevrolet oder was das ist, ihr habt zwei Wochen. Aber nicht länger. Auf Dauer ist das Ding beziehungsgefährdend.“ Ich fahre mit Daumen und Zeigefinger von innen nach außen über meinen Bart. Diese Geste sollte eigentlich mein neuer Signature-Move werden. „Faires Angebot“, sagt Marie. „Da kann ich mitgehen“, sagt Flora. „Das ist Beard-Shaming“, sage ich. „Vorsicht“, sagt Flora. „Du bewegst dich auf ganz dünnem Eis“, sagt Marie. „Sieh den Tatsachen ins Auge“, sagt Johanna. „Drei zu eins, ein klares Ergebnis. Das nennt sich Demokratie.“ Daniel Klaus
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