berliner szenen: Die strengen Gehilfen warten
Irgendwie habe ich mich jetzt doch durchgerungen. Trotz des strömenden Regens. Ich halte die Spannung einfach nicht mehr aus. Zu dem Paketshop ist es ja nicht weit. Nur wenige Meter die Pannierstraße hinunter. Auf ihrer Website behaupten die zeitgenössischen Vertreter des antiken Götterboten, der gebrauchte Naturfaserteppich für die schwermütig knarzenden Dielen im Flur sei bereits abgeholt worden. Dabei war ich gar nicht in Berlin. Sicher handelt es sich um ein Versehen. Ein Missverständnis. Ich bin im Grunde ein optimistischer Mensch. Allerdings geht mir eine Frage nicht aus dem Kopf: Welcher Verbrecher hat sich meines Teppichs bemächtigt? Mein Versuch, den Botendienst aus der Ferne auf das Problem hinzuweisen, versandete im KI-generierten Leerlauf der ewig gleichlautenden, unpersönlichen Antworten. Darum bin ich voller Hoffnung. Mit den Leuten im Paketshop kann Mensch reden. Immer wieder gehe ich innerlich durch, was ich ihnen gleich anvertrauen werde. Möglichst präzise muss ich mich ausdrücken. Vor allem darf ich mich nicht widersprechen. Sonst wirke ich unglaubwürdig. Womöglich halten sie mich selbst für einen Spitzbuben, der ihnen an einem öden Sonntagabend einen Teppich abschwatzen will.
An der Kreuzung muss ich warten. Direkt gegenüber ist der Späti mit meinem Paket. Der Eingang ist beleuchtet. Er hat also geöffnet. Aber die Ampel wird und wird nicht grün. Warum bin ich so beunruhigt? Als stünde mir eine Prüfung bevor. Immerhin habe ich einem Schirm dabei. Aber sonst? Wenigstens feste Schuhe hätte ich mir anziehen können. Den strengen Gehilfen des göttlichen Sendboten kann ich unmöglich mit aufgeweichten Hausschuhen gegenübertreten. Besser, ich latsche zurück. Dann kann ich auch noch an meiner Aussage feilen.
Henning Brüns
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