berliner szenen: Müll zusammen pläntern
Ein Spaziergang mit S. kann eine lehrreiche und körperliche Erfahrung sein. Eine mit guter Intention und einem, zumindest kurzzeitig, positiven Effekt, was nicht an S. liegt, sondern an den Menschen, die nicht wie S. sind. Unsere halbe Stunde heute braucht eine gute Dreiviertelstunde Anreise. Wir finden uns schließlich in einem städtischen Wald, den S. ausgesucht hat, dem Plänterwald. „Plänter kommt von pläntern,“ lerne ich gleich zu Anfang. „Das kommt vom Bäume fällen.“ Ich lautmale mir das zu einem Plätten zurecht und habe das Bild von flach fallenden Bäumen im Kopf. Was hier auch soweit stimmt, denn zwecks Brennholzgewinnung wurde der Ursprungswald so richtig kahlgeschlagen. Hätte nicht ein Gartenbaudirektor, ein gewisser Gustav Meyer, Einhalt geboten.
„Stattlicher Backenbart,“ sagt S. „Vater verschiedener Volksparks der Stadt und Model für kunstvolle Steinbüsten.“ Der sorgte für Wiederaufforstung und zwar mit Waldbäumen. Und nun steht hier der Wald, schief und krumm, wie er es als echter Wald sein muss. Als einer „der letzten innerstädtischen Wälder Berlins“, seufzt S. Direkt neben der Spree, die sehen wir durchs Gesträuch schimmern. Hier kennt S. natürlich auch den Baum persönlich, an dem aktuell der Biber nagt. Geometrisch beeindruckend sein Werk, aber S. hat keine Auge dafür, er heult auf: „Diese Vollidioten!“ Er hechtet über eine Wegbegrenzung ins Gebüsch, ich sehe nicht, was er sieht, aber da kommt er schon und hat zwei Wasserflaschen, eine zerknüllte Chipstüte und einen Alu-Holzkohlegrill dabei. Aschereste an den Fingern. „Jeden Tag ist das so, jeden Tag.“ Wir stopfen den Abfall in eine Tüte aus S. Rucksack. Hat er immer dabei, wegen der Leute, „du weißt“, sagt S. Ich weiß, ja. Den Rest unserer Zeit reden wir nicht mehr, wir sammeln.
Klaus Esterluss
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