berliner szenen: Urban? Notfall? Köfte?
Satt und zufrieden sitze ich in einem Kreuzberger Köfteladen, als eine Frau die Tür aufdrückt, die immer so schnell wieder zugeht. Dicht hinter ihr noch eine Kundin. Absichtlich wohl lässt die erste die Tür zuschnappen. Kleine Wortkeilerei. Dann die erste laut: Für ’ne Nutte Lakai spielen? Verächtlich gestikuliert sie jetzt in Richtung der zweiten, die sich klug einen Tisch ganz hinten sucht. Und weiter geht’s, jetzt an uns alle gerichtet. Ph! Einer mit Lackbotten bis zum Hintern und blondiert bis an’ Arsch die Tür uffhalten, so ’ner Domina aus Watweeßickwoher? Weiter kommt sie nicht: Ein Mitarbeiter im Türsteherformat ist, zack, vor Ort und komplimentiert sie ruhig und mit bemerkenswert weichen Händen aus dem Laden.
Die 50er-Jahre-Tür mit zu knapp eingestelltem Schließer geht erneut auf. Jung geblieben, in Jeansjacke tritt nun eine weitere Frau ein. Ich stutze einen Moment ungläubig, denn es wirkt so, als sei sie vor Kurzem der Giftschlange bös in die Quere gekommen. Ihre Wangen sind, von beiden Augen ausgehend, von tiefroten Blutergüssen gezeichnet. Wirkt schlimm. Dann springe ich auf und frage, ob sie Hilfe braucht. Danke, nein, meint sie und geht zielstrebig zum Tresen.
Schafft sie aber nicht ganz, denn jetzt stürzt der halbe Laden auf sie ein. Was ist passiert? Sie Arme! Schläge? Mann? Schmerzen? Demo?, fragen sie besorgt von allen Seiten. Eine anrührende Szene mit Seltenheitswert in dieser unwirtlichen Zeit. Sie verneint alles, sogar lächelnd: Nicht schlimm. Nur gestürzt. Inşallah!, rufen zwei. Zu Urban? Notfall?, fragt ein tiefer Bass trotzdem noch, tätschelt sie ernst. Nein, schon gestern, alles gut. Nix gut, wir laden Sie ein! Köfte, Tee? Ich wollt’ hier eigentlich nur was über Ebay abholen, sagt sie. Zögert. Und bleibt zu Tee und Grillspieß.
An diesem guten Ort.
Felix Primus
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