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berliner szenenVon Vögeln, Mäusen und Menschen

Meine Nachbarn sind auf der Berlinale. Scheint’s ununterbrochen, sodass ihr Körnerhäuschen vorm Fenster vor Leere gähnt. Die von ihnen angefütterten Spatzen-Kohorten schlagen nun auf meinem Balkon auf und fordern unmissverständlich ihre Rationen ein. Jedes Tierchen auf eine andere Art die breite, zum Futterhaus führende Brüstung als roten Teppich, als Lauf- oder besser Hüpfsteg nutzend. Nicht immer zur Freude meiner gefiederten Stammgäste. Und so scheint sich mein Balkon in diesen Tagen zu einer Spielstätte der Berlinale gemausert zu haben. Der Vogelberlinale. Beflügelnd.

In dieser Gemütsverfassung besuche ich den Massagesalon, in meiner Tasche die angebrochene Gutscheinkarte, die mir kürzlich ein schnitzelliebender Businessman so großzügig überlassen hatte. Beim Eintreten in den kleinen Warteraum seh ich, wie eine Kundin mit prädatorischem Kennerblick gerade in die Süßkramschale greift und flink Beute macht: eine Schaumzuckermaus. Mit roten Augen? frag ich sie amüsiert. Klar, meint sie, ist schließlich’ne Albinomaus. Stimmt. Ich angele mir zwei Colafläschchen, und gemeinsam wartend naschen wir.

Diesmal begrüßt mich nicht die ruhige, junge Masseurin von neulich, sondern eine, wie sich zeigen soll, eher zupackende. Meine Zerrung quittieren ihre kräftigen Finger mit starkem Senkrechtdruck. Klingt schlimm, tut weh. Doch schnell begreife ich: Sie kennt meine Verletzung besser als ich. Und bei dieser Kärrnerarbeit bleibt ihr sogar noch Muße, mit mir mittels Zweiwortsätzen über dies und das herzhaft zu lachen.

Auf dem Rückweg dechiffriere ich das Wort, das meine Lippen schon minutenlang vergnügt: Stemmeisenfingerthaimasseurin. Und erst jetzt merke ich, dass ich mich federleicht fühle.

Felix Primus

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